Unterwegs im Grenzgebiet Ost

So läuft das schmutzige Geschäft mit der Not

Bei Schleusungen geht nicht um Menschen, sagen Ermittler. Es geht nur ums Geldverdienen. 

Teilen
Bundespolizisten nehmen auf dem Rastplatz „Am Heideholz“ an der Autobahn 17 vier mutmaßliche Schleuser in Gewahrsam.
Bundespolizisten nehmen auf dem Rastplatz „Am Heideholz“ an der Autobahn 17 vier mutmaßliche Schleuser in Gewahrsam.Sebastian Kahnert/dpa

Die Flucht nach Europa endet für vier junge Leute auf dem Rastplatz Am Heideholz an der Autobahn 17. Kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze in Richtung Dresden hat eine Streife der Bundespolizei den BMW mit französischem Kennzeichen entdeckt. Nun wird der Wagen auf den Rastplatz geleitet. Eine Kontrolle der Papiere weckt bei den Beamten Verdacht. Die Insassen haben türkische Pässe und Aufenthaltstitel für Dänemark, einen Führerschein hat der Fahrer nicht. Das Dokument für Dänemark ist gefälscht. Später gibt einer der Reisenden zu Protokoll, es in Serbien erworben zu haben. Auch das Auto wurde ihnen von einem Schleuser dort zugeteilt.

Es ist nicht der klassische Fall einer Schleusung, den die Beamten der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel an diesem Tag zu bearbeiten haben. Normalerweise setzen Schleuser ihre „Kunden“ unweit der Autobahn oder manchmal auch direkt an der Piste ab und flüchten dann selbst – zurück nach Tschechien. Die jungen Türken – zwei Frauen und zwei Männer – sind auf eigene Faust gekommen. Nun stellen sie ein Schutzersuchen. Drei von ihnen kommen in eine Erstaufnahmeeinrichtung, einer hat den Status eines unbegleiteten Minderjährigen und wird nun vom Jugendamt Heidenau betreut.

Die Bundespolizisten Jana Kletzsch und Klaus Hohmann kontrollieren auf dem Rastplatz nahe der deutsch-tschechischen Grenze ein Fahrzeug.
Die Bundespolizisten Jana Kletzsch und Klaus Hohmann kontrollieren auf dem Rastplatz nahe der deutsch-tschechischen Grenze ein Fahrzeug.Sebastian Kahnert/dpa

„Hier geht es nicht um Menschen. Hier geht es nur ums Geldverdienen“

„Schleusungen sind ein ganz schmutziges Geschäft. Hier geht es nicht um Menschen. Hier geht es nur ums Geldverdienen – so viel wie möglich und soll schnell wie möglich. Welche Zustände auf der Ladefläche herrschen, interessiert den Schleuser nicht“, sagt Steffen Ehrlich, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel. Es sei aber auch ein sehr lukratives Geschäft. Pro Person müssten Geflüchtete für die letzte Etappe nach Deutschland hohe dreistellige oder sogar vierstellige Beträge aufbringen. Manchmal koste eine Flucht vom Herkunftsland bis zum Ziel sogar 10.000 Euro und mehr. Das große Geld kassierten freilich nur die Hintermänner.

Laut Ehrlich werden die Fahrer in Abhängigkeit von der Anzahl der Geflüchteten entlohnt. Deshalb sei das Interesse groß, so viele wie möglich auf einen Schlag zu transportieren. „Erst in der vergangenen Woche fanden wir zehn Menschen in einem Pkw.“ Eine Schleuserorganisation arbeite sehr strukturiert und sei oft europaweit vernetzt. „Es gibt den Organisator, den Finanzer und den Logistiker. Der erste sorgt sich etwa um Safe-Häuser, um die ‚Ware‘ Mensch zwischenzulagern. Der Finanzer kümmert sich um die Geldströme, der Logistiker hat die ganze Mobilität zu leisten. Es gibt klare Hierarchien und Strukturen.“

Dabei habe sich die Zahlungsweise im Vergleich zur Flüchtlingskrise 2015 und 2016 verändert. Damals hätten Schleuser in der Regel das gesamte Geld vor der Schleusung kassiert, heute werde die letzte Tranche erst nach erfolgreicher Ankunft in Deutschland überwiesen, sagt der Beamte. „Deshalb machen die Fahrer als Beweisstück Videos, wenn Flüchtlinge die Fahrzeuge verlassen.“ Mit anderen Videos wiederum würden Schleuser für ihre Dienste in sozialen Medien werben und „Reisen“ nach Deutschland anbieten. Ein auf TikTok verbreiteter Clip sei sogar im nicht weit von Berggießhübel entfernten Altenberg gedreht worden. „Die Schleuser agieren als kriminelle Reisebüros.“

Eine gemeinsame Streife des polnischen Grenzschutzes und der Bundespolizei entdeckte diesen Transporter auf der A12. Der mutmaßliche Schleuser konnte festgenommen werden.
Eine gemeinsame Streife des polnischen Grenzschutzes und der Bundespolizei entdeckte diesen Transporter auf der A12. Der mutmaßliche Schleuser konnte festgenommen werden.Bundespolizei

„Sie reißen während der Fahrt die Gummidichtung aus den Türen, um mehr Luft zu bekommen“

Obwohl Ehrlich in diesen Tagen als Sprecher der Bundespolizei praktisch jeden Tag Pressemitteilungen über Schleusungen verschicken muss, geht ihm das Geschehen immer wieder nah. „Das prallt an uns nicht ab. Wir sind auch Menschen – in Uniform.“ Manchmal nehme man einen Fall gedanklich mit nach Hause und spreche im Familienkreis darüber. „Wer die Tür eines Transporters öffnet, schaut in die Gesichter vieler Flüchtlinge auf engstem Raum. Dann denkt man: Das ist doch völlig irre. Viele sind erschöpft und wirken apathisch. Sie reißen während der Fahrt die Gummidichtung aus den Türen, um mehr Luft zu bekommen.“

„Vom Bauchgefühl her sind es mehr Flüchtlinge als 2015. Und auch die Umstände sind anders. Die Schleuser werden immer skrupelloser, die Schleusungen gefährlicher“, sagt Polizeioberkommissarin Jana Kletzsch, die an diesem Tag mit ihrem Kollegen Klaus Hohmann auf Streife ist. Damals hätten sich die Schleuser meist ergeben, wenn man sie auf frischer Tat gestellt habe. Jetzt flüchteten sie in hohem Tempo und gefährdeten das Leben der Insassen. Erst im Juli überlebte eine Frau einen Unfall in einem Schleuserfahrzug nicht. Sieben weitere Insassen kamen schwer verletzt ins Krankenhaus. Mitunter sind Bundespolizisten in solchen Fällen als Ersthelfer gefragt.

Für Jana Kletzsch ist der schlimmste Moment, wenn sie nach einer Verfolgung die Türen des Fahrzeuges öffnet. In einem Transporter sind manchmal 20 Leute eingepfercht. „Sie stehen dort über Stunden in ihren Ausdünstungen, ihnen fehlt Sauerstoff, sie können nicht auf Toilette. Die Notdurft muss in Flaschen verrichtet werden. Man ist froh, wenn alle noch am Leben sind.“ Gerade bei den gegenwärtigen Temperaturen sei das unverantwortlich.

„Momentan fallen jede Menge Überstunden an. Wir arbeiten an der Belastungsgrenze“

Kletzsch räumt ein, dass die Arbeit manchmal frustrierend ist, weil der Zustrom immer größer wird. Dabei könnten ihre Kollegen nur einen Bruchteil der Schleuser dingfest machen. Doch dann gebe es auch die vielen kleinen Zeichen von Dankbarkeit - etwa wenn nach langer Fahrt völlig dehydrierten Migranten einen Becher Wasser erhalten. „Momentan fallen jede Menge Überstunden an. Wir arbeiten an der Belastungsgrenze“, sagt Ehrlich. Die Reviere würden untereinander aushelfen, die Motivation seit trotz der hohen Belastung noch immer groß. Außerdem würden die Bundespolizisten am derzeitigen Hotspot Breitenau von Kollegen aus anderen Bundesländern unterstützt.

Aktuell sind es auch Kollegen aus Bayreuth, Duderstadt und Hünfeld (Bayern). „Man hat nicht mehr das Gefühl der Machtlosigkeit“, sagt Kletzsch. Man wolle an den Schleusern dranbleiben, auch wenn sie mit hoher Geschwindigkeit fliehen. Eine andere Wahl habe man nicht. Dennoch weiß die Oberkommissarin, dass ihr Job einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Denn die Schleuser haben viele Tricks auf Lager, passen ihre Taktik den Gegebenheiten an. In der Regel sondierten Aufklärer als Vorhut das Terrain. Manchmal werde eine Schleusung als Ablenkung inszeniert, um nachfolgende Transporte ohne Probleme über die Grenze zu bringen.

Die Bundespolizeidirektion Pirna hat in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von Januar bis Ende Juli 13.479 unerlaubte Einreisen festgestellt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 5775, im gesamten Jahr 20.550. „Internationale und nationale Meldungen zeigen, dass die Schleuserfahrer zunehmend skrupelloser werden, um sich im Falle einer Polizeikontrolle der Strafverfolgung zu entziehen“, teilt die Behörde mit. Mit einer rücksichtslosen Fahrweise würden nicht nur die Insassen gefährdet, sondern auch unbeteiligte Verkehrsteilnehmer und Polizisten. Schleuser verursachten regelmäßig Unfälle und nähmen dabei Verletzungen oder den Tod der Geschleusten billigend in Kauf.

In Sachsen wird derzeit der Ruf nach temporären Grenzkontrollen - so wie an der Grenze zwischen Österreich und Bayern - stärker. Auch in Breitenau habe man an zwei Tagen mal zu Schwerpunktzeiten „Licht gemacht“, wie es Ehrlich ausdrückt. Da waren alle Übergänge im Bereich der Bundespolizeiinspektion besetzt, die Fahrzeuge mussten die Grenze im Schritttempo passieren. „Wir wollten endlich mal Druck aus den Schleusungen nehmen“, sagt Ehrlich. Doch die Schleuser hätten sich schnell einen anderen Weg gesucht, was die Kollegen benachbarter Inspektionen in Ebersbach und Chemnitz rasch gespürt hätten.