Gescheiterte Integration

Sind Unruhen wie in Frankreich auch in Deutschland möglich?

Die Unruhen in Frankreichs Vorstädten zeugen von einer gescheiterten Integration. Im Vergleich zu Deutschland gibt es einige wichtige Unterschiede.

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Polizisten stehen Jugendlichen bei Ausschreitungen in Nanterre bei Paris gegenüber. Die Schäden der Unruhen belaufen sich auf eine Milliarde Euro.
Polizisten stehen Jugendlichen bei Ausschreitungen in Nanterre bei Paris gegenüber. Die Schäden der Unruhen belaufen sich auf eine Milliarde Euro.Christophe Ena/AP/dpa

Die Unruhen in Frankreich nach dem Tod eines Jugendlichen durch einen Polizeischuss erschüttern das Land. In Marseille wird der Tod eines 27-Jährigen untersucht, der möglicherweise durch ein Gummigeschoss starb. Laut einer Migrationsstudie haben sich für Zuwanderer der zweiten Generation die Lebensbedingungen in Frankreich verbessert. Doch viele fühlen sich diskriminiert.

In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurden Banlieues mit preiswertem Wohnraum um die Ballungsräume aus dem Boden gestampft. Doch längst haben sich die Hochhaussiedlungen in soziale Brennpunkte verwandelt. Hier entstand ein eigener Mikrokosmos mit hoher Kriminalität und hohem Ausländeranteil. Laut der Migrationsstudie des Instituts Insee wohnen über 30 Prozent der Migranten aus Afrika in diesen Quartieren.

In Frankreich lebten 2021 rund 7 Millionen Migranten, ein Anteil von 10,3 Prozent der Bevölkerung. Dazu kommt ein etwas größerer Anteil von Migranten in zweiter Generation. Frankreich zählt zu den europäischen Ländern mit dem größten Anteil von Menschen, die mindestens ein im Ausland geborenes Elternteil haben.

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Die Konflikte zwischen Vorstadt-Jugendlichen und Frankreichs Polizei sind mit dem Entstehen der Brennpunkte eng verwoben. Je mehr dort eine abgesonderte Subkultur entstand, wurden die Wohnblöcke zu No-go-Areas. Dort zeigen die Beamten mit massiven Auftritten Präsenz.

Migranten der ersten Generation sind in Frankreich doppelt so oft von Armut betroffen

Migranten der ersten Generation sind in Frankreich nach der Studie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt benachteiligt. Sie haben häufiger Gesundheitsprobleme und sind doppelt so häufig von Armut betroffen, wie die Durchschnittsbevölkerung.

Besser sieht es für die zweite Generation aus. Sie schließt bei der Schulausbildung mit den jungen Menschen ohne Migrationshintergrund auf und fasst auch auf dem Arbeitsmarkt Fuß. Allerdings sind sie weiter benachteiligt, wenn es um die Suche nach einer Wohnung und einer Arbeit geht. Das führt zum Gefühl der Diskriminierung.

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Soziale Brennpunkte gibt es auch in Deutschland, wie die Dortmunder Nordstadt. Die stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration, Birgit Leyendecker, sieht aber deutliche Unterschiede. Sie sagt: „Die sogenannten Banlieues wurden damals als Arbeiterquartiere quasi aus dem Boden gestampft. Dort fehlte es an Infrastruktur, Kinderärzten, Sportplätzen, Jugendtreffs.“ In Deutschland seien nach der Anwerbung der „Gastarbeiter“ keine großen Wohnviertel für ausländische Arbeitskräfte gebaut worden.

Im Westen ist der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte deutlich höher als im Osten

2022 lag der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bei 28,7 Prozent. Von den 23,8 Millionen Personen mit Migrationshintergrund waren 12,2 Millionen deutsche Staatsbürger und 11,6 Millionen Ausländer. Im Westen der Republik ist der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte deutlich höher als im Osten. Migrationshintergrund bedeutet, dass eine Person oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist.

Das Verhältnis zwischen Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten und der Polizei ist auch in Deutschland problematisch. Allerdings sind Fälle von massiver Gewalt und Sachbeschädigung seltener als in Frankreich.

Wie Studien zeigen, ist es um die Aufstiegschancen von Menschen aus ärmeren Familien in Deutschland nicht gut bestellt. Das betrifft auch Menschen mit Migrationshintergrund. „Es ist sehr wichtig, dass genug investiert wird in gute Schulen und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche aus Brennpunktvierteln“, sagt Leyendecker. „Verhältnisse wie in Frankreich haben wir glücklicherweise nicht“, erklärt sie und warnt: „Wenn wir bei Problemvierteln aber nicht für eine gute Infrastruktur sorgen, könnte es eines Tages auch hier so weit kommen.“

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