Denys Saporoschenko begrüßt seine drei Kinder Nikita, Yana and Dayana (r.) bei der Ankunft in Kiew. Eine Hilfsorganisation hat die drei per Bus aus russisch besetzten Gebieten zurück in die Ukraine gebracht.
Denys Saporoschenko begrüßt seine drei Kinder Nikita, Yana and Dayana (r.) bei der Ankunft in Kiew. Eine Hilfsorganisation hat die drei per Bus aus russisch besetzten Gebieten zurück in die Ukraine gebracht. Sergei Chuzavkov/AFP

Mit einem strahlenden Lächeln springt der Junge seinem Vater entgegen, die beiden küssen und umarmen sich. Mehr als fünf Monate hat Denys Saporoschenko seinen Sohn nicht gesehen. Im Oktober waren der Zehnjährige und seine beiden älteren Schwestern aus der Ukraine von Russen auf die von Moskau annektierte Halbinsel Krim gebracht worden. Nun ist es einer Hilfsorganisation gelungen, 17 Kinder zurück nach Kiew zu holen.

Als der Bus mit den Jungen und Mädchen in Kiew ankommt, ist die Freunde groß. Monatelang waren sie von ihren Eltern getrennt. Saporoschenko hat seine Kinder zuletzt am 7. Oktober gesehen. Sie lebten im südukrainischen Cherson, das damals von russischen Truppen besetzt war. Als sich in der Hafenstadt mit der ukrainischen Gegenoffensive heftige Kämpfe ankündigten, willigte der Vater ein, seine Kinder in ein angebliches russisches Ferienlager auf der Krim fernab des Krieges zu schicken.

Russen haben mehr als 16.000 ukrainische Kinder verschleppt

Russische Beamte „versprachen, sie für ein oder zwei Wochen in dieses Lager zu schicken“, erzählt Saporoschenko. „Als wir merkten, dass wir das nicht hätten tun sollen, war es zu spät.“ Aus dem vermeintlichen kurzen Urlaub wurden Monate der Trennung. Zumindest habe er mit seinen Kindern telefonieren können, sagt der Vater.

Inessa (r.) kann ihr Glück kaum fassen: Nach monatelanger Trennung ist ihr Sohn Vitaly (l.) wieder mit der Familie vereint.
Inessa (r.) kann ihr Glück kaum fassen: Nach monatelanger Trennung ist ihr Sohn Vitaly (l.) wieder mit der Familie vereint. Sergei Chuzavkov/AFP

Die Nichtregierungsorganisation Save Ukraine setzte sich für die Rückkehr der Kinder ein. Die Organisation kämpft gegen die mutmaßliche Verschleppung ukrainischer Kinder in russisch kontrollierte Gebiete. Nach Angaben Kiews wurden seit der russischen Invasion mehr als 16.000 Minderjährige nach Russland deportiert, viele von ihnen sollen in Heimen und Pflegefamilien untergebracht worden sein.

Der Internationale Strafgerichtshof erließ vergangene Woche Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen unrechtmäßiger Deportation ukrainischer Kinder. Der Kreml bestreitet die Vorwürfe und behauptet, lediglich Kinder vor den Schrecken des Krieges zu retten.

Russische Behörden erpressen ukrainische Familien

Die russischen Behörden arbeiteten mit „Einschüchterung, Manipulation und Erpressung“, um sich der Kinder zu bemächtigen, sagt Myroslawa Chartschenko, Anwältin von Save Ukraine. „Sie sagen den Eltern, dass sie eine Stunde Zeit haben, um nachzudenken“ und machten ihnen Angst vor „amerikanischen Söldnern, die die Kinder verprügeln und vergewaltigen werden“.

Jewheniya (l.) und Taya (beide 15) berichten, wohin sie statt des versprochenen Ferienlagers tatsächlich gebracht wurden. 
Jewheniya (l.) und Taya (beide 15) berichten, wohin sie statt des versprochenen Ferienlagers tatsächlich gebracht wurden.  Sergei Chuzavkov/AFP

Bisher hätten sich die Eltern selbst auf die beschwerliche Suche nach ihren Kindern machen müssen, sagt die Juristin. Nun gelang es Save Ukraine zum ersten Mal, eine Gruppe von Kindern gemeinsam zurückzubringen. Die Organisation mietete einen Bus und nahm einige Mütter mit. Da sie keine Erlaubnis bekamen, die Front in der Ostukraine zu passieren, mussten sie den Umweg über Polen, Belarus und Russland nehmen, um die Kinder auf der Krim abzuholen.

Kinder mussten für russische Inspektoren tanzen

Einige der 17 Kinder berichten von politischer Indoktrination in dem Lager. „Wenn du die russische Nationalhymne nicht mitgesungen hast, musstest du aufschreiben, warum nicht. Und an Neujahr wurde uns Putins Rede gezeigt“, sagt die 15-jährige Taissia aus Cherson. „Alles war wie in normalen Lagern“, erzählt Saporoschenkos elfjährige Tochter Jana. „Aber wenn Inspektoren aus Moskau kamen, mussten wir singen und tanzen.“

Ihr Sohn sei in den Monaten der Trennung ernster geworden, hat Inessa Wertosch beobachtet. „Er sieht mich an und sagt: Mama, ich will dir nichts davon erzählen, du würdest nachts nicht mehr schlafen können.“

Alle Kinder würden psychologisch betreut, versichert Anwältin Chartschenko. Und ihre Organisation tue „alles, damit die Kinder und ihre Eltern nicht in gefährliche Gebiete zurückkehren“.