Sexismus: Wie Politikerinnen zu Hassobjekten gemacht werden
Landes- und Bundespolitikerinnen berichten von zunehmendem Sexismus und Frauenhass. Sexistische Kommentare kommen dabei vor allem von der AfD.

Frauenfeindliche Sprüche, Hassmails mit Vergewaltigungsfantasien, sexistische Kommentare im Parlament – es gibt kaum eine Politikerin, die keine Erfahrung mit Sexismus und Hetzrede in ihrem beruflichen Umfeld gemacht hat. Das gilt auch für den Bundestag: Laut einer Spiegel-Umfrage sind viele weibliche Abgeordnete regelmäßig mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert. 69 Prozent der befragten Politikerinnen sagten demnach, sie erlebten frauenfeindlichen Hass als Bundestagsabgeordnete. 64 Prozent bekommen entsprechende Nachrichten per E-Mail oder Post.
Je bekannter oder in der Öffentlichkeit präsenter eine Politikerin ist, desto extremer die Aussagen. Die Hassmails strotzen vor Gewaltfantasien gegenüber Frauen, in vielen Fällen handelt es sich dabei um explizit sexualisierte Gewalt. „Das sind E-Mails, in denen etwa steht, dass eine bestimmte Frau totgefickt werden soll“, erzählt die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth im Gespräch mit dem KURIER. Auch sie selber hat schon entsprechende Mails bekommen. „In den Fantasien dieser Absender reicht es nicht, dass Frauen getötet werden – sie müssen erst noch vergewaltigt und gedemütigt werden.“
Für Roth ist diese Art des Hasses eine neue Qualität, die auch durch die Stimmung im Parlament gespeist werde, seit dort die AfD eingezogen ist: „Die AfD bereitet diesen Hassfantasien den Boden, sie ist wie ein Lautsprecher, der nicht nur offenen Rassismus sondern auch Frauenfeindlichkeit nach außen trägt.“
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Die AfD weist die erhobenen Vorwürfe gegenüber dem KURIER zurück. So beziehe sich die erwähnte Spiegel-Umfrage nur auf eine Minderheit der Parlamentarierinnen und sei damit wenig aussagekräftig. Die Partei sieht sich selbst als Opfer von Drohungen und Hassbotschaften. „Gerade Abgeordnete der AfD, weibliche wie männliche, können davon ein Lied singen“, sagt die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch. Diese würden in der Öffentlichkeit nur nicht thematisiert, „sondern stillschweigend gut geheißen“.
Im Parlament, so berichten mehrere Politikerinnen dem KURIER, komme Sexismus in Regel sehr wohl vonseiten der AfD. „Das beginnt mit Gelächter, Zwischenrufen und dummen Sprüchen, wenn eine Frau am Rednerpult steht, und geht bis zu offen antifeministischen und sexistischen Redebeiträgen“, erzählt Claudia Roth. Besonders betroffen seien Kolleginnen mit Migrationsgeschichte. Überhaupt seien Sexismus und Rassismus „zwei Seiten derselben Medaille“.
Entsprechende Erfahrungen macht regelmäßig die Berliner SPD-Politikerin und Staatssekretärin Sawsan Chebli. Als Muslima und Tochter palästinensischer Einwanderer ist die 42-Jährige immer wieder mit entsprechenden Hassbotschaften konfrontiert. Inzwischen geht sie in die Offensive: Erst Ende Januar veröffentliche Chebli einen Tweet mit Fotos eines Briefes, in dem sie sexistisch und rassistisch beschimpft wird. „Ich hoffe, dass die deutsche Justiz diesen Mann, der es wagt, mir ein solches rassistisches, islamfeindliches, menschenverachtendes, sexistisches Schreiben mit Klarnamen zu schicken, juristisch belangt und deutlich macht, dass das keine Meinungsfreiheit ist“, schreibt Chebli dazu.
Auch Maren Jasper-Winter, FDP-Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus und frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, erlebt vor allem die AfD-Fraktion als Quelle von sexistischen Anfeindungen im Parlament. „Wenn man als Frau ans Rednerpult tritt, benimmt sich die AfD ganz anders als Männern gegenüber.“ Es werde versucht, gerade frauenpolitische Anliegen mit Zwischenrufen und anderen Störungen zu diskreditieren. Oft würden Frauen dabei auch auf fachlicher Ebene angegriffen – allein wegen der Tatsache, dass sie Frauen sind.
Sexistische Mails hat Jasper-Winter selbst auch schon bekommen, besonders zu Beginn ihrer Abgeordnetenzeit. Im Parlament wiederum treffe der Sexismus vonseiten der AfD vor allem Kolleginnen, die sich auffälliger oder auch alternativer kleideten als die Mehrheit.
Das erzählt auch die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Suding. „Das kommt auch von den Frauen in der AfD. Jemand wie Alice Weidel ist sich nicht zu schade, die Kleidung von Kolleginnen anzüglich zu kommentieren, nach dem Motto ‚Was hat die denn an? Die hat heute wohl noch was vor!‘ Wir als FDP sitzen ja in direkter Nachbarschaft zur AfD“, sagt Suding. „Da bekommen wir Provokationen mit, die von den anderen Fraktionen gar nicht gehört werden.“ Diese Provokationen träfen nicht nur Frauen. „Es ist unglaublich, wie menschenverachtend und anstandslos die Bemerkungen sind.“ Natürlich mache das wütend – und die Beantwortung der Frage, wie man darauf reagieren soll, nicht einfacher. „Provokation gehört ja zur Strategie der AfD, das macht den Umgang damit so schwierig“, sagt Suding. „Man kann manches nicht einfach kommentarlos stehenlassen, andererseits sollte man nicht über jedes Stöckchen springen, das einem die AfD hinhält.“
Suding wünscht sich in diesem Zusammenhang auch eine klarere Haltung der männlichen Kollegen. „Es ist noch nicht so lange her, da waren sexistische Bemerkungen quasi salonfähig. Wir müssen alle gemeinsam deutlich machen, dass diese Zeiten endgültig vorbei sind.“
Einen Zusammenhang sehen die Politikerinnen auch mit dem geringen Frauenanteil im Bundestag; dieser liegt derzeit bei etwa 30 Prozent.
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„Das Phänomen wurde lange Zeit einfach unterschätzt“, sagt Claudia Roth dazu. „Ich habe mir früher auch von Männern aus anderen Fraktionen anhören müssen, ich sei einfach zu empfindlich. Dann hieß es: ‚Im Bierzelt wird ja auch so geredet.‘ Aber abgesehen davon, dass Sexismus auch dort nicht in Ordnung ist: Wir sind hier nicht im Bierzelt, sondern im Deutschen Bundestag.“
Roth berichtet, wie ein Abgeordneter der AfD einmal in einer Rede in Richtung der Regierungsbank gebrüllt habe: „Wer keine Eier hat, sollte nicht regieren.“ „Es war klar, dass er damit die Kanzlerin meinte, auch wenn sie an diesem Tag nicht auf ihrem Platz saß.“
Sexismus dürfe nicht als Normalität betrachtet werden. „Wir leben immer noch in einer patriarchalen Gesellschaft. Um diese Strukturen aufzubrechen, müssen wir Instrumente einbauen, die für Gleichberechtigung sorgen – so wie wir das bei den Grünen schon lange etwa durch die Frauenquote oder die quotierte Redeliste machen. Damit hat sich im Laufe der Jahre eine andere politische Kultur etabliert.“ Das habe auch mit der Sichtbarkeit zu tun: „Bei Parteitagen oder Fraktionsversammlungen der Grünen sind Frauen nicht in der Minderheit, sondern in der Regel in der Mehrheit – dadurch verändert sich etwas.“