Von der Gondel des Windrads im Norden Pankows aus wirkt die A10 wie eine schmale Landstraße. Links setzt eines der drei Rotorblätter an.
Von der Gondel des Windrads im Norden Pankows aus wirkt die A10 wie eine schmale Landstraße. Links setzt eines der drei Rotorblätter an. Annette Riedl/dpa

Den Blick kann nicht jeder genießen: Aus schwindelnder Höhe blickt man auf der einen Seite über Brandenburger Felder, auf der anderen Seite auf das Häusermosaik Berlins. „Pyro“ nennen die Planer des Ingenieurbüros Teut das Gelände einer alten Feuerwerksfirma in  Pankow, wo sich ihre beiden 138 Meter hohen Windräder drehen – zwei von insgesamt sechs auf Berliner Boden. Geschlagene vier Jahre hat es gedauert, bis die Anlagen standen. Und nach Lage der Dinge war das noch ziemlich fix.

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Nur sieben Jahre Zeit, um die Menge der Wind-Energie zu verdoppeln

Zum 1. Februar greift ein neues Gesetz, das vor allem die Planung von Windkraftanlagen beschleunigen soll. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein Turbo tatsächlich dringend nötig, will man die hochgesteckten Ziele für grünen Strom bis 2030 schaffen. Allein die Windkraft an Land soll sich von 58 Gigawatt im Jahr 2022 auf 115 Gigawatt bis 2030 verdoppeln. Das sind noch sieben Jahre.

Jonas Knybba, Ingenieur und Betriebsführer bei Teut Windprojekte GmbH, führt mit einer Stirnlampe Sicherheitschecks in der Gondel eines Windrades in Pankow durch.
Jonas Knybba, Ingenieur und Betriebsführer bei Teut Windprojekte GmbH, führt mit einer Stirnlampe Sicherheitschecks in der Gondel eines Windrades in Pankow durch. Annette Riedl/dpa

Als leuchtendes Beispiel gilt der Aufbau der Flüssiggas-Terminals an der Küste seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Geht doch, hieß es, als jetzt die ersten LNG-Landepunkte nach nur wenigen Monaten in Betrieb gingen. Was half bei LNG und was steht bei Erneuerbaren im Weg?

Ingenieur Elias Brunken und Umweltplaner Daniel Deppe haben dazu was zu erzählen.  Bei Teut arbeiten sie daran, in Berlin und Brandenburg Windräder ans Netz zu bekommen. Und sie versichern: doch, doch, im Grunde mache das wirklich großen Spaß mit der Energiewende. „Extrem, ich mache das richtig gerne“, sagt Deppe. Nur: „Man muss schon Bock haben auf Diskutieren und ein dickes Fell.“

Mal angenommen man hat ein großes Grundstück in Brandenburg oder anderswo und möchte ein Windrad bauen, was muss man tun? Brunken und Deppe holen tief Luft.

Ein Windrad, aber 16 Stellen, die an der Prüfung und Genehmigung arbeiten

Windkraft geht natürlich sowieso nur im „Eignungsgebiet“ beziehungsweise im „Vorranggebiet“. Der Bund hat die Länder gerade gesetzlich verpflichtet, dafür schrittweise bis 2032 mindestens zwei Prozent ihrer Fläche auszuweisen.

Aber obwohl diese Areale eigens für den Zweck gedacht sind, beginnt bei jedem Windrad die Prüfung neu. Ist der Standort weit genug weg von Wohnhäusern? Groß genug für eine 250 Meter hohe Anlage mit 85 Meter langen Rotorblättern? Alle Eigentums- und Nutzungsrechte geklärt? Dann kann es losgehen mit der Kartierung.

Dabei werden Biotope, Fledermäuse, Brut- und Zugvögel gezählt. Das dauert mindestens ein  Jahr.

Dann kommen die Gutachten. Standsicherheit, Brandschutz, Eiswurf, Schall, Schattenwurf. Das fließt alles in den Genehmigungsantrag. Derzeit sind das nach Angaben der Planer in der Regel vier Aktenordner und zwölf Daten-CDs, die an 16 verschiedene Stellen gehen.

Von einem der sechs Berliner Windräder sind der Windpark Lindenberg und dahinter den Windpark Blumberg zu sehen, beide in Brandenburg.
Von einem der sechs Berliner Windräder sind der Windpark Lindenberg und dahinter den Windpark Blumberg zu sehen, beide in Brandenburg. Annette Riedl/dpa

Für die Bearbeitung brauchen die Behörden, wenn alles glatt läuft, etwa ein bis eineinhalb Jahre, so erzählen es Brunken und Deppe. Geht es um mehrere Windräder, ist meist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Ist das der Fall, sind es zwei Jahre.  

Es dauerte schon mal 18 Jahre, bis ein geplantes Windrad in Betrieb ging

Nun folgt  die Ausschreibung. Windkraftanbieter bewerben sich um Mengen im Rahmen der Ausbauziele und müssen dabei einen von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Preisdeckel einhalten. Es gewinnt der Bewerber mit dem niedrigsten Preis. Ist auch diese Hürde genommen, wird das Windrad bestellt. Lieferzeit nach Angaben der Ingenieure: Im Moment rund 18 Monate.

Läuft also wirklich alles wie am Schnürchen, sind schon mehr als vier Jahre ins Land gegangen, bevor sich der erste Tieflader zum Bauplatz der neuen Windmühle in Gang setzt. Voraussetzung ist, dass niemand Einspruch erhebt, niemand klagt, die Behörde nicht überlastet ist und sich das vor Jahren ersonnene Projekt noch rechnet. Statistisch dauert es im Schnitt fünf bis sieben Jahre, bis ein geplantes Windrad auch steht. Negativrekord: 18 Jahre.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig drehten am 14. Januar symbolisch am Rad, um das zweite deutsche Flüssiggas-Terminal in Lubmin in Betrieb zu nehmen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig drehten am 14. Januar symbolisch am Rad, um das zweite deutsche Flüssiggas-Terminal in Lubmin in Betrieb zu nehmen. Frank Hormann, Fotoagentur Nordlicht/imago

Und bei LNG, dem seit Beginn des Ukraine-Kriegs so begehrten und aus aller Welt importierten Flüssiggas? Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte Januar symbolisch den Gashahn am Flüssigerdgas-Terminal in Lubmin an der Ostsee aufdrehte, war seit dem ersten Antrag des Unternehmens Deutsche Regas gerade mal ein halbes Jahr vergangen.

„Das ist Rekordtempo“, sagt Jan Bonhage von der Kanzlei Hengeler Mueller, die das Projekt betreut.  

Furcht vor einem Gas-Engpass machte die Planung der Flüssiggas-Terminals sehr schnell

Zustande kam das neue „Deutschland-Tempo“ unter dem Druck der Gaskrise und des Horrorszenarios, dass Millionen Bürger im Winter in eiskalten Wohnungen frieren müssten. Auch hier gab es ein eigenes Beschleunigungsgesetz, das LNGG.  Bonhage hält fünf Punkte für entscheidend, um so schnell zu sein.

Auf der Neptune in Lubmin wird das per Schiff gelieferte, tiefgekühlte Flüssiggas „aufgetaut“.
Auf der Neptune in Lubmin wird das per Schiff gelieferte, tiefgekühlte Flüssiggas „aufgetaut“. Jens Büttner/dpa

Als erstes nennt er ein „überragendes öffentliches Interesse“, das an den Terminals besteht. „Das darf man nicht unterschätzen“, sagt Bohage. Denn dieses Interesse, dass auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz steht, erzeugt Druck.

Zweiter Punkt: verkürzte Fristen, etwa bei der öffentlichen Beteiligung. Statt ein Monat Auslegung der Pläne und ein Monat Einwendungsfrist gilt bei den Terminals jeweils eine Woche. Der dritte Faktor ist für den Fachmann der Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Umwelt- und Naturschutzrecht seien trotzdem einzuhalten.  

Punkt vier: Widerspruch oder Klagen gegen das Projekt haben keine aufschiebende Wirkung. Fünftens erleichtere das Gesetz den vorzeitigen Beginn von Bauvorbereitung oder eines Testbetriebs.

Dieser  Katalog entspricht ziemlich genau dem, was sich auch Windkraftplaner wünschen. Aber die Realität ist davon ein Stück entfernt. „Die bisher von der Ampel-Koalition beschlossenen Maßnahmen gehen zwar in die richtige Richtung“, sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende. „Aber sie reichen selbst in der Summe nicht aus, um die Verfahren in dem Maße zu beschleunigen, wie es für die 2030-Zielerreichung notwendig ist.“

EU-Notverordnung könnte stärker beschleunigen als das deutsche Gesetz

Das Beschleunigungsgesetz ist aus Müllers Sicht nur ein kleiner Schritt. Damit würden Planungsverfahren „etwas weniger anfällig gegen Klagen“, sagt der Experte. Größere Erwartungen hat er an eine EU-Notverordnung vom Dezember: „Sie sagt im Wesentlichen: Liegt für die Fläche eines Windparks eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung vor, auch mit Blick auf den Artenschutz, dann muss sie nicht mehr zusätzlich für jedes einzelne Windrad wiederholt werden.“

Außerdem könnte man aus Müllers Sicht, ähnlich wie bei LNG-Terminals, Projekte vorläufig genehmigen und dann bereits mit dem Bau beginnen. Oder Betreiber könnten sogar – wie im Fall Tesla in Brandenburg – auf eigenes Risiko ohne Genehmigung loslegen. Wird die dann doch nicht erteilt, könnte ein Risikofonds den Ausfall absichern. Für schnellere Verfahren brauche man zudem mehr Personal und Digitalisierung bei Behörden.

Vielen Natur- und Umweltschützern ist so viel Beschleunigung nicht geheuer. So fordert etwa die Deutsche Umwelthilfe die Rücknahme des LNG-Gesetzes. Sie kritisiert, dass Bürgerbeteiligung und Klagerechte zu stark beschnitten würden und der Umweltschutz zu kurz komme. LNG- wie auch Windkraftplaner halten dagegen, die immer detaillierteren Vorgaben seien einfach zu langwierig. Bei Windrädern solle nicht der Schutz jedes einzelnen Vogels Ziel sein, sondern der Erhalt der Art.