Schnelle Energiewende, vom Winde verweht: Vier Jahre von der Windrad-Idee bis zur Fertigstellung
Am 1. Februar tritt ein Gesetz in Kraft, das den Bau von Windkraftanlagen beschleunigen soll. Die Zeit drängt, 2030 soll es doppelt so viel an Land erzeugten Wind-Strom geben

Den Blick kann nicht jeder genießen: Aus schwindelnder Höhe blickt man auf der einen Seite über Brandenburger Felder, auf der anderen Seite auf das Häusermosaik Berlins. „Pyro“ nennen die Planer des Ingenieurbüros Teut das Gelände einer alten Feuerwerksfirma in Pankow, wo sich ihre beiden 138 Meter hohen Windräder drehen – zwei von insgesamt sechs auf Berliner Boden. Geschlagene vier Jahre hat es gedauert, bis die Anlagen standen. Und nach Lage der Dinge war das noch ziemlich fix.
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Nur sieben Jahre Zeit, um die Menge der Wind-Energie zu verdoppeln
Zum 1. Februar greift ein neues Gesetz, das vor allem die Planung von Windkraftanlagen beschleunigen soll. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein Turbo tatsächlich dringend nötig, will man die hochgesteckten Ziele für grünen Strom bis 2030 schaffen. Allein die Windkraft an Land soll sich von 58 Gigawatt im Jahr 2022 auf 115 Gigawatt bis 2030 verdoppeln. Das sind noch sieben Jahre.

Als leuchtendes Beispiel gilt der Aufbau der Flüssiggas-Terminals an der Küste seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Geht doch, hieß es, als jetzt die ersten LNG-Landepunkte nach nur wenigen Monaten in Betrieb gingen. Was half bei LNG und was steht bei Erneuerbaren im Weg?
Ingenieur Elias Brunken und Umweltplaner Daniel Deppe haben dazu was zu erzählen. Bei Teut arbeiten sie daran, in Berlin und Brandenburg Windräder ans Netz zu bekommen. Und sie versichern: doch, doch, im Grunde mache das wirklich großen Spaß mit der Energiewende. „Extrem, ich mache das richtig gerne“, sagt Deppe. Nur: „Man muss schon Bock haben auf Diskutieren und ein dickes Fell.“
Mal angenommen man hat ein großes Grundstück in Brandenburg oder anderswo und möchte ein Windrad bauen, was muss man tun? Brunken und Deppe holen tief Luft.
Ein Windrad, aber 16 Stellen, die an der Prüfung und Genehmigung arbeiten
Windkraft geht natürlich sowieso nur im „Eignungsgebiet“ beziehungsweise im „Vorranggebiet“. Der Bund hat die Länder gerade gesetzlich verpflichtet, dafür schrittweise bis 2032 mindestens zwei Prozent ihrer Fläche auszuweisen.
Aber obwohl diese Areale eigens für den Zweck gedacht sind, beginnt bei jedem Windrad die Prüfung neu. Ist der Standort weit genug weg von Wohnhäusern? Groß genug für eine 250 Meter hohe Anlage mit 85 Meter langen Rotorblättern? Alle Eigentums- und Nutzungsrechte geklärt? Dann kann es losgehen mit der Kartierung.
Dabei werden Biotope, Fledermäuse, Brut- und Zugvögel gezählt. Das dauert mindestens ein Jahr.
Dann kommen die Gutachten. Standsicherheit, Brandschutz, Eiswurf, Schall, Schattenwurf. Das fließt alles in den Genehmigungsantrag. Derzeit sind das nach Angaben der Planer in der Regel vier Aktenordner und zwölf Daten-CDs, die an 16 verschiedene Stellen gehen.

Für die Bearbeitung brauchen die Behörden, wenn alles glatt läuft, etwa ein bis eineinhalb Jahre, so erzählen es Brunken und Deppe. Geht es um mehrere Windräder, ist meist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Ist das der Fall, sind es zwei Jahre.
Es dauerte schon mal 18 Jahre, bis ein geplantes Windrad in Betrieb ging
Nun folgt die Ausschreibung. Windkraftanbieter bewerben sich um Mengen im Rahmen der Ausbauziele und müssen dabei einen von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Preisdeckel einhalten. Es gewinnt der Bewerber mit dem niedrigsten Preis. Ist auch diese Hürde genommen, wird das Windrad bestellt. Lieferzeit nach Angaben der Ingenieure: Im Moment rund 18 Monate.
Läuft also wirklich alles wie am Schnürchen, sind schon mehr als vier Jahre ins Land gegangen, bevor sich der erste Tieflader zum Bauplatz der neuen Windmühle in Gang setzt. Voraussetzung ist, dass niemand Einspruch erhebt, niemand klagt, die Behörde nicht überlastet ist und sich das vor Jahren ersonnene Projekt noch rechnet. Statistisch dauert es im Schnitt fünf bis sieben Jahre, bis ein geplantes Windrad auch steht. Negativrekord: 18 Jahre.

Und bei LNG, dem seit Beginn des Ukraine-Kriegs so begehrten und aus aller Welt importierten Flüssiggas? Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte Januar symbolisch den Gashahn am Flüssigerdgas-Terminal in Lubmin an der Ostsee aufdrehte, war seit dem ersten Antrag des Unternehmens Deutsche Regas gerade mal ein halbes Jahr vergangen.
„Das ist Rekordtempo“, sagt Jan Bonhage von der Kanzlei Hengeler Mueller, die das Projekt betreut.
Furcht vor einem Gas-Engpass machte die Planung der Flüssiggas-Terminals sehr schnell
Zustande kam das neue „Deutschland-Tempo“ unter dem Druck der Gaskrise und des Horrorszenarios, dass Millionen Bürger im Winter in eiskalten Wohnungen frieren müssten. Auch hier gab es ein eigenes Beschleunigungsgesetz, das LNGG. Bonhage hält fünf Punkte für entscheidend, um so schnell zu sein.

Als erstes nennt er ein „überragendes öffentliches Interesse“, das an den Terminals besteht. „Das darf man nicht unterschätzen“, sagt Bohage. Denn dieses Interesse, dass auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz steht, erzeugt Druck.
Zweiter Punkt: verkürzte Fristen, etwa bei der öffentlichen Beteiligung. Statt ein Monat Auslegung der Pläne und ein Monat Einwendungsfrist gilt bei den Terminals jeweils eine Woche. Der dritte Faktor ist für den Fachmann der Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Umwelt- und Naturschutzrecht seien trotzdem einzuhalten.
Punkt vier: Widerspruch oder Klagen gegen das Projekt haben keine aufschiebende Wirkung. Fünftens erleichtere das Gesetz den vorzeitigen Beginn von Bauvorbereitung oder eines Testbetriebs.
Dieser Katalog entspricht ziemlich genau dem, was sich auch Windkraftplaner wünschen. Aber die Realität ist davon ein Stück entfernt. „Die bisher von der Ampel-Koalition beschlossenen Maßnahmen gehen zwar in die richtige Richtung“, sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende. „Aber sie reichen selbst in der Summe nicht aus, um die Verfahren in dem Maße zu beschleunigen, wie es für die 2030-Zielerreichung notwendig ist.“
EU-Notverordnung könnte stärker beschleunigen als das deutsche Gesetz
Das Beschleunigungsgesetz ist aus Müllers Sicht nur ein kleiner Schritt. Damit würden Planungsverfahren „etwas weniger anfällig gegen Klagen“, sagt der Experte. Größere Erwartungen hat er an eine EU-Notverordnung vom Dezember: „Sie sagt im Wesentlichen: Liegt für die Fläche eines Windparks eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung vor, auch mit Blick auf den Artenschutz, dann muss sie nicht mehr zusätzlich für jedes einzelne Windrad wiederholt werden.“
Außerdem könnte man aus Müllers Sicht, ähnlich wie bei LNG-Terminals, Projekte vorläufig genehmigen und dann bereits mit dem Bau beginnen. Oder Betreiber könnten sogar – wie im Fall Tesla in Brandenburg – auf eigenes Risiko ohne Genehmigung loslegen. Wird die dann doch nicht erteilt, könnte ein Risikofonds den Ausfall absichern. Für schnellere Verfahren brauche man zudem mehr Personal und Digitalisierung bei Behörden.
Vielen Natur- und Umweltschützern ist so viel Beschleunigung nicht geheuer. So fordert etwa die Deutsche Umwelthilfe die Rücknahme des LNG-Gesetzes. Sie kritisiert, dass Bürgerbeteiligung und Klagerechte zu stark beschnitten würden und der Umweltschutz zu kurz komme. LNG- wie auch Windkraftplaner halten dagegen, die immer detaillierteren Vorgaben seien einfach zu langwierig. Bei Windrädern solle nicht der Schutz jedes einzelnen Vogels Ziel sein, sondern der Erhalt der Art.