Die Russischen Truppen sollen sich aus Cherson zurückziehen.
Die Russischen Truppen sollen sich aus Cherson zurückziehen. AP

Sie ist die einzige Gebietshauptstadt, die Russland seit Beginn des Invasion in der Ukraine seit Februar erobert hat, doch nun gibt Russland an, sich aus der Stadt Cherson und den Teilen der gleichnamigen Region nördlich des Flusses Dnipro zurückziehen zu wollen.

Das bestätigte das russische Verteidigungsministerium in Moskau. „Beginnen Sie mit dem Abzug der Soldaten“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit dem russischen Befehlshaber in der Ukraine, Sergej Surowikin.

Die teilweise von Russland besetzte Region Cherson ist seit Wochen Ziel einer umfassenden ukrainischen Gegenoffensive und steht unter massivem militärischen Druck. Surowikin hatte „vorgeschlagen“, die Truppen auf das andere Ufer des Flusses Dnipro zurückzuziehen und dort Verteidigungsstellungen aufzubauen.

Befehlshaber wolle die „Leben russischer Soldaten schützen“

Der Befehlshaber sprach von einer „schwierigen Entscheidung“. Seinen Vorschlag begründete er damit, dass er das Leben russischer Soldaten schützen wolle. „Wir denken in erster Linie an das Leben jedes russischen Soldaten“, sagte er.

Zuletzt hatten sich jedoch Berichte gehäuft, dass Russland vor allem die im Rahmen der im Oktober verkündeten Teilmobilisierung eingezogenen Soldaten regelrecht verheizt. Manche Einheiten seien in die Schlacht geworfen und von ihren Kommandeuren im Stich gelassen worden. Die Verluste seien enorm. Derartige Berichte machten sogar unter russischen Berichterstattern die Runde.

Ukrainische Regierungsberater zweifelt an russischen Ansagen

Die ukrainische Regierung scheint derweil jedoch noch skeptisch zu sein, ob der Abzug auch tatsächlich erfolge, oder ob es sich nicht sogar um eine russische Falle handeln könnte. Mychailo Podoljak, Berater im Büro des ukrainischen Präsidenten, glaubt noch nicht an den schnellen Rückzug der Russen. „Taten sagen mehr als Worte“, so der Berater auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. 

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Derzeit sehe man noch keine Anzeichen dafür, dass sich die Russen kampflos zurückziehen würden. Podoljak hält eine Falle der Russen für möglich. Teile der russischen Verbände würden in der Stadt verbleiben, es kämen sogar neue Einheiten in die Region. Daher sei man vorsichtig. „Die Ukraine befreit Territorien basierend auf Geheimdienstinformationen, nicht auf gestellten TV-Ansprachen“, schrieb er. Auch der Gouverneur der benachbarten Region Mykolajiw glaubt den Russen nicht: „Wenn die Russen eine Sache sagen, machen sie das andere“, so Vitalij Kim auf dem Nachrichtendienst Telegram.

Ein ukrainischer Soldat begutachtet einen ehemaligen russischen Graben in der Oblast Cherson.
Ein ukrainischer Soldat begutachtet einen ehemaligen russischen Graben in der Oblast Cherson. dpa/ZUMA Press Wire/Daniel Ceng Shou-Yi

Falls die Russen sich tatsächlich zurückziehen würde,  würde einen weiteren schweren Rückschlag für den Kreml darstellen. Die in den ersten Tagen der Militäroffensive in der Ukraine eingenommene Stadt Cherson ist eine von Russlands wichtigsten Eroberungen. Die gleichnamige Region ist von strategisch großer Bedeutung, weil sie an die 2014 von Moskau annektierte ukrainische Halbinsel Krim grenzt.

Russische Truppen ziehen sich hinter Fluss Dnipro in Cherson zurück

Russland hatte das Gebiet Cherson in den ersten Kriegswochen weitgehend besetzt und im September - ebenso wie die Regionen Saporischschja, Luhansk und Donezk - völkerrechtswidrig annektiert. Ungeachtet dessen kündigte die Ukraine immer wieder an, Stadt und Gebiet Cherson auch mithilfe westlicher Waffen befreien zu wollen.

Die Stadt Cherson und die anderen Teile der Region nördlich des Dnipro stellen den letzten verbliebenen Brückenkopf der Russen nördlich und westlich des Dnipro dar. Der Fluss ist eine wichtige natürliche Barriere und lässt sich aus Sicht der Russen leichter verteidigen. 

Russland hatte vor mehreren Wochen mit der „Evakuierung“ von Zivilisten aus Cherson begonnen. Surowikin zufolge wurden rund 115.000 Menschen auf die andere Seite des Flusses Dnipro gerbacht. Die ukrainische Regierung verurteilte den Schritt als „Deportationen“, da die Einwohner zum Teil gegen deren Willen verschleppt worden seien.

Russischer Besatzungs-Vertreter soll bei „Unfall“ getötet worden sein

Derweil soll der stellvertretende Chef der russisch besetzten Region Cherson ums Leben gekommen sein – nach offiziellen Angaben bei einem Verkehrsunfall. Das Auto von Kirill Stremussow sei in einen Unfall geraten, erklärte am Mittwoch der von Moskau ernannte Besatzungs-Gouverneur Wladimir Saldo.

Seit der Eroberung von Cherson durch russische Truppen Anfang März war Stremussow einer der eifrigsten Vertreter der Besatzungsmacht gewesen. Er meldete sich oft in Kreml-freundlichen Medien zu Wort und galt als leidenschaftlicher Unterstützer der russischen Militäroffensive in der Ukraine.