Russischer Soldat schildert in Tagebuch die Brutalität des Krieges: „Ich werde bei diesem Wahnsinn nicht mehr mitmachen“!
Fallschirmjäger Pavel Filatjew berichtet über die desolaten Zustände und die zerrüttete Moral in Russlands Armee.

Fast zwei Monate lang hat der russische Fallschirmjäger Pavel Filatjew (33) im Süden der Ukraine gekämpft, gehörte zu Russlands Elitetruppen. Bis er Anfang April wegen einer schlimmen Augeninfektion, die sich eingefangen hatte, evakuiert wurde. Entsetzt über die sinnlose Gewalt und Zerstörung, die durch die Invasion des russischen Präsidenten Wladimir Putin verursacht wurde, schreibt Filatjew seine Erinnerungen an die Kämpfe auf. In der Hoffnung, dass die Wahrheit über den Krieg seinem Land helfen könnte, ihn zu stoppen.
Am 1. August veröffentlichte Filatjew auf der Internetseite VKontakte, das russische Gegenstück zu Facebook, sein erschütterndes Tagebuch von der Front bei Cherson und Mykolajiw in der Südukraine. Und er liefert auf 141 Seiten einen Einblick in den Zustand des russischen Armee, wie es bislang noch niemand wagte.
„Mein ganzes Leben lang sage ich nur die Wahrheit, auch wenn es mir selbst weh tut“, beginnt der Russe seine Aufzeichnungen. Er könne nicht länger schweigen und wollte nicht länger kämpfen.
Von chaotischen Zuständen berichtet der Fallschirmjäger dann. Von ahnungslosen und verängstigten Befehlshabern, von hoffnungslos veralteter Ausrüstung, verrosteten Waffen und der zerrütteten Moral an der Front. Er habe keine Wahl, schreibt Filatjew, er müsse von „Krieg“ sprechen – obwohl der Gebrauch des Wortes in Russland verboten sei. Er müsse von einem Krieg erzählen, der in seinen Augen sinnlos ist. „Ich sehe keine Gerechtigkeit in diesem Krieg“, schreibt er. Menschen würden in diesem Krieg für Ziele sterben, die nie definiert worden seien.
Filatjew schreibt von „vielen Toten, deren Angehörige keine Entschädigung erhalten haben“. Er schreibt von der Verzweiflung in Schützengräben und der Wut der Verletzten. „Die meisten Soldaten sind unzufrieden mit dem, was passiert. Sie sind unzufrieden mit der Regierung und ihren Kommandanten. Sie sind unzufrieden mit Putin und seiner Politik. Sie sind unzufrieden mit dem Verteidigungsminister, der nie in der Armee gedient hat.“
Rücksichtslose Plünderei in besetzten Gebieten aus Not

Er erzählt von Soldaten, die sich in die Beine geschossen haben, um die umgerechnet 50.000 Dollar zu kassieren, die die Regierung verletzten Soldaten versprochen hatte. Und Filatjew berichtet auch davon, wie Truppen die besetzten Gebiete auf der Suche nach Nahrungsmitteln plündern – aus Mangel an Vorräten.
„Die Befehlshaber haben die Menschen zu Wilden gemacht und die Tatsache ignoriert, dass sie schlafen, essen und duschen müssen. Wie Wilde haben wir alles gegessen: Haferflocken, Brei, Konfitüre, Honig, Kaffee. Es war uns egal, man hatte uns schon bis an die Grenzen getrieben. Die meisten hatten einen Monat an der Front verbracht – ohne einen Hauch von Komfort, einer Dusche oder normalem Essen.“
Filatjew floh nach Veröffentlichung des Tagebuchs ins Ausland
Dass er sich mit der Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen selbst zum Feind gemacht hat und Haft riskiert, ist Filatjew durchaus bewusst. Obwohl er immer noch in der Armee ist, hat er Russland mit Hilfe einer Menschenrechtsorganisation verlassen. Seinen jetzigen Aufenthaltsort hält er aus Sicherheitsgründen geheim. Dass er mit seinem mutigen Front-Report etwas in Russland bewirken wird, glaubt der 33-Jährige jedoch kaum. „Es ändert vielleicht nichts“, schrieb er, „aber ich werde diesen Wahnsinn nicht mitmachen!“