Der deutsche Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann sucht in der Ukraine nach Beweisen für russische Kriegsverbrechen.
Der deutsche Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann sucht in der Ukraine nach Beweisen für russische Kriegsverbrechen. Andreas Stein/dpa

Nicht weniger als 70.000 Kriegsverbrechen wirft die Ukraine Russland vor. Die Ermittlungen dazu laufen. Doch die Arbeit ist kompliziert – das weiß auch der deutsche Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann, der die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft in Kiew unterstützt.

Seit dem Sommer 2022 berät der Jurist aus Freiburg die Ukrainer bei den Ermittlungen zu Kriegsverbrechen. Deren Zahl gibt die Regierung in Kiew nach fast einem Jahr Krieg mit 70.000 an. Hoffmann und seine Kollegen gehen manchmal auch direkt an die Tatorte: an Massengräber, in völlig zerstörte Dörfer. Sie sehen Leichen mit Folterspuren und amputierten Gliedmaßen.

Ermittlungen an Tatorten wie Butscha

So gingen die Bilder der Leichen im Hauptstadt-Vorort Butscha, deren Hände auf dem Rücken gefesselt waren, und anderer Bluttaten um die Welt. Inzwischen hat die Ukraine auch eine Internetseite eingerichtet, die Zeugnis gibt von den Zerstörungen, vom Leid der Zivilbevölkerung. Auch Opfer kommen zu Wort. Zeugen können sich melden.

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Doch selbst unter dem Eindruck schwerster Gewalttaten hält sich der deutsche Oberstaatsanwalt mit voreiligen Schlüssen zu russischen Kriegsverbrechen zurück. „Unser Ansatz ist immer: weit und offen zu ermitteln, was passiert ist. Auch genau zu dokumentieren, wie welche Zivilisten in irgendwelchen Orten gefangen genommen, vergewaltigt, getötet worden sind“, sagt der 49-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Kiew.

Zivilisten fliehen im März 2022 aus dem Kiewer Vorort Irpin. Russische Soldaten sollen dort Frauen und Kinder von den Männern getrennt und anschließend viele von ihnen getötet haben.
Zivilisten fliehen im März 2022 aus dem Kiewer Vorort Irpin. Russische Soldaten sollen dort Frauen und Kinder von den Männern getrennt und anschließend viele von ihnen getötet haben. Dimitar DILKOFF/AFP

Der Jurist Hoffmann, der immer wieder aus Baden in die Ukraine reist, sieht im Fall Butscha „viele Beweismittel“ – auch weil die Russen den Ort im Frühjahr Hals über Kopf verließen. Oft sei es aber nicht einfach, Kriegsverbrechen nachzuweisen – also Verbrechen, bei denen es nicht um militärische Ziele ging, sondern um zivile Opfer. Mehr als 7000 tote Zivilisten haben die Vereinten Nationen in dem Krieg bisher registriert. Die tatsächliche Zahl ist wohl höher.

Verantwortliche finden – bis hin zu Kremlchef Putin

Hoffmann half auch dabei, einheitliche Fragenkataloge für die Vernehmung von Kriegsgefangenen zu erstellen. So wollen Ermittler nicht nur erfahren, „warum und wie jemand möglicherweise einen Zivilisten erschossen hat, sondern auch die Hintergründe erfragen, Wissen abfragen über die Kommandostrukturen, wann, mit wem sie in die Ukraine gekommen sind“.

Vor allem geht es darum, Befehlsketten zu ergründen, um die Verantwortlichen zu finden und Schuld zu klären – bis hin zu Kremlchef Wladimir Putin. Hoffmann: „Am Ende ist es die Frage: Wie können für bestimmte Verbrechen Putin oder sein Verteidigungsminister, der Generalstabschef, der oberste General oder zumindest eine Ebene darunter vor Gericht gestellt werden?“

Das Grauen von Butscha: Getötete Zivilisten wurden dort mit auf dem Rücken gefesselten Händen entdeckt. 
Das Grauen von Butscha: Getötete Zivilisten wurden dort mit auf dem Rücken gefesselten Händen entdeckt.  Efrem Lukatsky/dpa

Einfach ist das nicht. Hoffmann macht deutlich, dass es jetzt vor allem darum geht, Beweise zu sammeln und Zeugenaussagen auf Video festzuhalten. Auch mögliche ukrainische Verbrechen müssten ermittelt werden. „Der Fokus liegt heute darauf, alles sicher zu dokumentieren, sodass es auch in 20, 30 oder 40 Jahren vor Gericht verwendet werden kann.“

Psychisch könne seine Arbeit in der Ukraine schon eine große Belastung sein. Das Gefühl aber, Teil dessen zu sein, dass dem ukrainischen Volk Gerechtigkeit widerfahre, sei stärker. „Es ist Teil der Motivation, zu versuchen, dem Grauen und den Verbrechen irgendwas entgegenzusetzen“, sagt Hoffmann und ergänzt: „Den Opfern eine Stimme zu geben und wirklich zu hoffen, dass irgendwann ein Teil der Führungsebene für das verantwortlich gemacht wird, was passiert ist.“