Ultraorthodoxe im Aufruhr
Rätselhafter Streit in Israel um „koschere“ Handys
Strenggläubige Juden sollen Smartphones aus religiösen Gründen nur zum Telefonieren benutzen

Schmuli blickt angstvoll durch die Fenster seines Mobiltelefon-Ladens nach draußen, zupft nervös an seinem Bart und den Schläfenlocken. „Bitte fotografiert mich nicht“, bittet er. „Sprecht nicht laut.“ Dann verschärft sich sein Ton: „Verschwindet. Geht weg. Jetzt.“
Schmuli (das ist nicht sein wirklicher Name) hat Grund, sich zu fürchten. Mehrere Läden nahe Jerusalems größtem von Ultraorthodoxen bewohnten Stadtviertel Me'a Sche'arim, die wie er Handys und andere digitale Technologien verkaufen, sind verwüstet worden. Kunden wurden tätlich angegriffen, in Straßen in der Umgebung kam es zu Krawallen.
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Israel erlaubt streng Religiösen Handy-Nutzung ohne Genehmigung des Rabbis
Handys sind in der Gemeinschaft der Ultraorthodoxen oder Charedim seit April zu einer explosiven Angelegenheit geworden. Damals hatte Israels Kommunikationsminister es für Angehörige dieser streng religiösen Richtung des Judentums leichter gemacht, Smartphones ohne Wissen ihrer Rabbiner zu benutzen. Seither gibt es Spannungen innerhalb der Gemeinschaft als auch zwischen ihr und dem Rest der israelischen Gesellschaft. Bürgerwehren versuchen, die Smartphone-Bevormundung mit Gewalt durchzusetzen.
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Charedische Juden machen 12,6 Prozent der israelischen Bevölkerung oder 16 Prozent der israelischen Juden aus und sind eine der am schnellsten wachsenden Gemeinschaften im Land. Sie befolgen die Thora und das jüdische Gesetz in allen Lebensbereichen. Rabbis, die das Gesetz studiert haben, verkünden Urteile über alles Mögliche, von Anforderungen weiblicher Sittsamkeit über Fragen persönlicher Gesundheit bis hin zu ehelichen Beziehungen.
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Charedim betrachten sich selbst als Bewahrer des authentischen Judentums, und die meisten leben in dicht verwobenen Gemeinden – ein Lebensstil, den manche als „freiwilliges Getto“ bezeichnen. Ultraorthodoxe Schulen sind weitgehend dem Religionsunterricht verpflichtet, Fächer wie Englisch, Wissenschaft oder Mathematik gibt es zumeist nicht. Charedim haben auch ihre eigenen Zeitungen und Magazine geschaffen, und ihre Rabbiner verbieten Läden in ihren Gemeinden den Verkauf säkularer Blätter.
Ultraorthodoxe meiden Fernsehapparate
Als 1965 das Fernsehen in Israel eingeführt wurde, untersagten sie es den Gläubigen, die „bösen Kisten“ zu benutzen. Statistiken zufolge haben heute weniger als die Hälfte der charedischen Haushalte ein TV-Gerät.
Aber digitale Kommunikation ist in den Augen der Rabbis eine noch größere Bedrohung für die kulturellen Mauern, die die Ultraorthodoxen umgeben, bieten sie doch nicht nur Zugang zu unlauteren Inhalten, sondern auch zu Chat-Gruppen und Anwendungen wie Whatsapp, wo Charedim die Rabbis kritisieren und sich gar säkularen Quellen als Autoritäten zuwenden können.
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Ursprünglich hatten die Rabbiner das Internet ganz verboten, aber als es sich als zunehmend notwendig im täglichen Leben erwies, ließen sie eine gefilterte Version für Computer zu Hause zu.
Smartphones, mit denen man nur telefonieren kann
Aber bei den Handys zogen die Rabbis die Grenze. Sie bildeten ein Komitee, das zusammen mit Israels drei größeren Mobilfunkanbietern das „koschere“ Handy schufen – ein abgespecktes Telefon, das Nachrichtenübermittlungen, Videos, Radio und Internet blockiert. Zudem wurde ein spezielles Netz von Nummern mit eigener Vorwahl geschaffen, wodurch es sofort ersichtlich ist, wenn ein Anruf von einem unkontrollierten Gerät eingeht.
Die Rabbis blockierten Telefon-Sex-Dienste, aber auch Sozialbehörden der Regierung und Einrichtungen, an die man sich im Fall sexueller und häuslicher Gewalt wenden kann. Gläubigen ohne eine genehmigte Nummer wird auch der Zugang zu manchen religiösen Diensten verwehrt.

Offiziell benutzen die meisten Charedim ein „koscheres“ Handy. Aber manche legten sich schlicht zwei Telefone zu – eines zur Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft und eines für alles andere. Dazu zählt Dovid (58), der in der Nähe von Schmulis Laden steht und nur seinen Vornamen nennen will. „Ich bin Wohnungsmakler in der Charedim-Gemeinde. Natürlich folge ich meinen Rabbis und verehre sie. Aber meine Arbeit kann ohne ein Smartphone nicht funktionieren.“
Aber für die Rabbiner kommt es nun sogar noch schlimmer. Israels jüngste Regierungskoalition hat das orthodoxe Monopol im mehreren religiösen Angelegenheiten beendet und der derzeitige Kommunikationsminister Joas Hendel Regeln verabschiedet, die von Ende Juli an Transfers von den „koscheren“ Telefonnummern zu Anbietern ohne Restriktionen erlauben.
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„Hendel versucht, dem Lebensstil der ultraorthodoxen Öffentlichkeit Schaden zuzufügen“, erklärte der Chef des charedischen Parteibündnisses Vereinigtes Thora-Judentum, Mosche Gafni. Rabbiner sagen, dass nun Kinder durch Pornografie und anderen unheiligen Content korrumpiert würden.
Regierung sieht „koschere“ Handys außerhalb von Recht und Ordnung
Minister Hendel antwortete in der Jerusalem Post, es gehe „um den Charakter Israels als jüdischem und demokratischem Staat. Wir müssen uns einig sein, dass es keine Autonomien geben darf. Die koscheren Telefone sind eine Art von Monopol, außerhalb von Recht und Ordnung.“
Der Soziologie-Professor Schlomo Fischer sagt, dass die Empörung nichts mit Inhalten zu tun habe: „Chat-Räume und die Kontrolle von Information sind Macht. Die Rabbis haben Angst, dass sie ihre Autorität verlieren.“ Die habe schon seit Beginn der Corona-Pandemie gelitten, als die Rabbiner sich gegen Sicherheitsabstände wandten und darauf beharrten, dass die Schulen geöffnet blieben. Die Gemeinschaft erlitt zahlreiche Infektionen und Todesfälle.