Alexej Wenediktow ist der Chefredakteur von Echo Moskwy. Der populäre Radiosender wird nach dem Sendeverbot geschlossen.
Alexej Wenediktow ist der Chefredakteur von Echo Moskwy. Der populäre Radiosender wird nach dem Sendeverbot geschlossen. dpa/Alexander Zemlianichenko

Nicht nur das Nachbarland Ukraine ist durch seinen prowestlichen Kurs für den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Feind geworden, auch sein eigenes Volk ist harten Repressalien ausgesetzt.

Seit Tagen geht Moskau unerbittlich gegen Demonstranten vor, die die Invasion anprangern. Tausende sitzen schon in Haft. Im Inland hat Putin seit dem Angriff auf die Ukraine eine regelrechte zweite Front aufgemacht. Während Russlands Truppen ukrainische Städte bombardieren, gehen die russischen Behörden im eigenen Land vehement gegen unabhängige Medien vor.

Zuletzt wurden der liberale Radiosender Echo Moskwy (Moskauer Echo) und der Fernsehsender Doschd mit einem Sendeverbot belegt, am Donnerstag gab Echo Moskwy seine Auflösung bekannt. Als Grund für das Sendeverbot wurde die Berichterstattung über die Invasion in der Ukraine genannt.

Auch ausländische Medien sind betroffen: So haben russische Behörden den Zugang zu den Websites der Deutschen Welle und anderer Auslandssender „eingeschränkt“. Auch Journalisten der Nachrichtenagentur AFP stellten Zugangsprobleme fest. Ebenso die Websites von BBC, Medusa und Swoboda sowie Facebook.

Chefredakteur des TV-Senders Doschd floh ins Ausland

Unter den verbliebenen unabhängigen Medienmachern Russlands lösten die Schritte Beunruhigung aus. Der russische Generalstaatsanwalt hatte die Medienaufsicht angewiesen, den Zugang zu Echo Moskwy und Doschd zu blockieren, da beide „absichtlich falsche Informationen“ über den russischen Einmarsch verbreitet hätten. Am Mittwoch gab der Radiosender schließlich seine Auflösung bekannt.

In seiner letzten Sendung wurde der 35-jährige Doschd-Chefredakteur Tichon Dsiadko deutlich. „Das nennt man Krieg“, sagte er zu dem, was gerade in der Ukraine passiert. „Das heißt Krieg!“ Damit setzte er sich ein letztes Mal über Putins Vorgaben hinweg. Dsiadko floh ins Ausland.

Der oppositionelle Sender Doschd – mit ihm wurde die letzte unabhängige Fernsehstation gesperrt.
Der oppositionelle Sender Doschd – mit ihm wurde die letzte unabhängige Fernsehstation gesperrt. imago

Die unabhängigen Medien hatten sich geweigert, die Linie des Kreml in ihrer Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zu vertreten. Einheimische Medien waren angewiesen worden, den Angriffskrieg auf das Nachbarland lediglich als „speziellen Militäreinsatz“ zum Schutz russischsprachiger Ukrainer vor einem „Völkermord“ darzustellen.

Russisches Parlament will sogenannte Fake News mit 15 Jahren Haft ahnden

Schon vor der von Präsident Wladimir Putin befohlenen Invasion waren die Behörden im vergangenen Jahr in beispielloser Weise gegen unabhängige und kritische Stimmen vorgegangen. Und die russische Regierung zieht die Daumenschrauben weiter an: Am Freitag verabschiedete die Duma einen Gesetzentwurf, der bis zu 15 Jahre Haft für die Veröffentlichung von Falschnachrichten aus Sicht der Regierung über die russischen Streitkräfte.

Am Wochenende hatte die Generalstaatsanwaltschaft zudem gewarnt, dass die „finanzielle, logistische, beratende oder sonstige Unterstützung“ einer ausländischen Organisation oder eines Staates für „deren Aktivitäten gegen die Sicherheit Russlands“ Hochverrat darstelle. Durch die vage Formulierung lässt sich das Gesetz in umso mehr Fällen anwenden.

„In Russland gibt es genug Gesetze, um einen Journalisten aus jedem beliebigen Grund zu verurteilen“ und Medien „auszuschalten“, sagt Galina Timtschenko, Leiterin der in Lettland ansässigen russisch- und englischsprachigen Nachrichtenwebsite „Medusa“.

„Zensur findet bereits statt“, fügt sie hinzu. Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte am Samstag allen Medien die Begriffe „Angriff“, „Invasion“ oder „Kriegserklärung“ im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg untersagt. Auch alle Hinweise auf von russischen Streitkräften getötete Zivilisten wurden verboten.

Für viele kremlkritische Russen war der Radiosender Echo Moskwy die wichtigste Informationsquelle.
Für viele kremlkritische Russen war der Radiosender Echo Moskwy die wichtigste Informationsquelle. imago/SNA

Es drohe ein „Pauschalverbot“ kritischer Medien, sagt Jeanne Cavelier, Russland-Chefin der Organisation Reporter ohne Grenzen. Seit dem Einmarsch in die Ukraine vor einer Woche seien mindestens acht russische Medien gesperrt worden. Am Mittwoch folgte mit der Website „The Village“ ein weiteres Verbot.

Nachrichten über getötete Zivilisten verboten

Cavalier geht davon aus, dass kein einziges unabhängiges Medium in Russland überleben wird – nicht einmal die oppositionsnahe Zeitung „Nowaja Gaseta“, deren Chefredakteur Dmitri Muratow 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Der „Krieg gegen die Medien“ sei „die zweite Front“ der Invasion in der Ukraine, sagt Timtschenko.

Die Staatsmedien laufen seit Kriegsbeginn hingegen auf Hochtouren. Der als Kreml-Sprachrohr geltende Journalist Dmitri Kisseljow erklärte kürzlich in einer Sendung über die russischen Atomstreitkräfte: „Was nützt eine Welt, in der Russland nicht mehr existiert?“

Alexej Muchin, Direktor des kremlnahen Zentrums für politische Information in Moskau, bestreitet, dass russische Medien zensiert würden. „Zensur ist im Zeitalter des Internets einfach unmöglich“, sagt er. Auch von einem systematischen Vorgehen der Behörden gegen seriöse Medien könne keine Rede sein. Die Behörden seien vielmehr mit „politischen Gegnern konfrontiert, die verrückt geworden sind und sich an einem Informationskrieg beteiligen, ukrainische Propaganda verbreiten und Panik schüren“, sagt Muchin.

„Medusa“-Chefin Timtschenko macht sich hingegen keine Illusionen darüber, wie der Kampf des Kreml gegen kritische Medien ausgehen wird. „Ich habe den Eindruck, dass es Putins Ziel ist, nur jene zu behalten, die in seiner Gunst stehen“, sagt sie. „Der Rest wird gezwungen sein, zu fliehen, oder wird ausgeschaltet.“