Liefermenge durch die Ostsee soll erneut schrumpfen

Putins Gas-Krieg gegen Europa: Mit einem Sparplan hält die EU dagegen

Russland lässt angeblich dringend benötigtes Pipeline-Aggregat nicht ins Land und behauptet, ein zweites sei reparaturbedürftig

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Druck: Null. Ein Manometer am Gasspeicher Wolfersberg bei München.
Druck: Null. Ein Manometer am Gasspeicher Wolfersberg bei München.dpa/Peter Kneffel

Im Osten und Süden der Ukraine tobt ein Krieg mit Waffen,  weiter westlich hat Russlands Machthaber Wladimir Putin „einen offenen Gas-Krieg gegen das  vereinte Europa“ entfesselt und betreibt Terror. So sieht es der ukrainische Präsident  Wolodymyr Selenskyj. Anlass: Von Mittwoch an soll die Gas-Menge, die durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland strömt, von 40 auf nur noch 20 Prozent der Kapazität und damit 33 Millionen Kubikmeter/Tag sinken. Wegen des Gas-Kriegs hat sich die EU deshalb auf Gegenmaßnahmen verständigt.

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Putin hatte das schon vergangene Woche angekündigt, als die Pipeline nach zehntägiger Wartungspause eingeschränkt wieder in Betrieb ging. Die erneute Drosselung durch den Energiekonzern Gazprom begründete er mit der Reparaturbedürftigkeit einer  zweiten Turbine, die einen Kompressor an der  Pipeline betreibt.

Ich glaube, dass Gazprom selber, also der Konzern, gar nicht mehr Herr seiner eigenen Entscheidungen ist. Die Farce um diese kanadische Turbine spricht da eine eindeutige Sprache.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)

Die erste Turbine, die von Siemens Energy in Kanada überholt worden war und trotz Sanktionen nach Russland gebracht werden soll, steht noch in Deutschland. „Siemens Energy hatte bereits Anfang letzter Woche alle erforderlichen Dokumente für die Ausfuhr von Deutschland nach Russland vorliegen und Gazprom darüber auch informiert“, hieß es jetzt in einer Mitteilung des Unternehmens. „Was allerdings fehlt, sind erforderliche Zolldokumente für den Import nach Russland.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Treffen der für Energie zuständigen EU-Minister. Ribera Rodriguez (Spanien), Rob Jetten (Niederlande) und Josef Sikela (Tschechien) stehen bei ihm.
Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Treffen der für Energie zuständigen EU-Minister. Ribera Rodriguez (Spanien), Rob Jetten (Niederlande) und Josef Sikela (Tschechien) stehen bei ihm.AP/Virginia Mayo

Habeck: „Russland bricht Verträge und gibt anderen die Schuld“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach dementsprechend von einem perfiden Spiel Putins. „Er versucht, die große Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Russland bricht Verträge und gibt anderen die Schuld.“

Große Zweifel, ob die Speicher vor dem Winter gefüllt werden können

So oder so scheint die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gasknappheit zu steigen. Die Bundesregierung hatte einen Speicherfüllstand von mindestens 95 Prozent zum 1. November als Ziel ausgegeben. Das sei unrealistisch, selbst wenn durch die Pipeline 40 Prozent der Lieferkapazität fließe, hatte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, noch am Montag  erklärt. Im besten Fall seien maximal 85 Prozent möglich.

Selenskyj nutzte den Moment, verschärfte Sanktionen gegen Russland zu fordern. Russland mache es Europa absichtlich schwer, sich auf den Winter vorzubereiten und zeige einmal mehr, dass es sich nicht für das Schicksal der Menschen interessiere. Das Land lasse  sie unter Kälte, Armut und Besatzung leiden und durch die Blockade ukrainischer Getreideausfuhren hungern.

Solidarität zwischen den Staaten Europas in der Gas-Krise

Der Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena), Andreas Kuhlmann, warb dafür, Gas zu sparen, wo es möglich sei. Die Industrie habe bereits angekündigt, die Produktion zurückzunehmen. „Wichtig ist aber, was wir in den Haushalten hinbekommen.“

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Bulgarien erhält bereits seit April kein Gas mehr aus Russland, weil der EU- und Nato-Staat nicht mit Rubel zahlen wollte, sondern vertragsgemäß mit Dollar.
Bulgarien erhält bereits seit April kein Gas mehr aus Russland, weil der EU- und Nato-Staat nicht mit Rubel zahlen wollte, sondern vertragsgemäß mit Dollar.AFP/Nikolay Doychinov

Kuhlmann lobte den Gas-Notfallplan, der am Dienstag von den  Energieministern der EU-Staaten verabschiedet wurde, und mit dem sich die EU auf einen möglichen Lieferstopp aus Russland vorbereiten will. Jede Aktivität zähle. „Am Ende sind alle Länder betroffen – die einen mehr, die anderen weniger – und es ist gute Tradition in der EU, dass man sich entsprechend aushilft.“

Wie die EU-Länder Gas sparen wollen, und welche Ausnahmen es gibt

Wie  von der EU-Kommission vorgeschlagen, sollen alle Staaten vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 ihren Gaskonsum freiwillig um 15 Prozent  senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen „Unionsalarm“ auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben.

Gegenüber dem  Entwurf der Kommission sind dafür allerdings mehr Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen und die Hürden für  verbindliche Einsparziele wurden erhöht. Letztere soll nur vom Rat der Mitgliedstaaten und nicht von der EU-Kommission durchgesetzt werden können. Das bedeutet, dass ein Sparzwang die Zustimmung von von 15 der 27 EU-Länder braucht, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.

Ausnahmeregelungen sollen zum Beispiel vorsehen, dass Inselstaaten wie Zypern, Malta und Irland nicht zum Gassparen verpflichtet werden sollten. Bei anderen Staaten sollen Anstrengungen zur Einspeicherung von Gas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff etwa zur Erzeugung von Düngemitteln die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.