Am Strand von Sewastopol auf der okkupierten Krim interessierten sich die Tauben nicht für Putins Rede.
Am Strand von Sewastopol auf der okkupierten Krim interessierten sich die Tauben nicht für Putins Rede. AP

Drei Tage vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin (70) seine atomaren Drohgebärden verschärft. Bei seiner jährlichen (2022 ausgefallenen) Rede an die Nation erklärte er, den New-Start-Vertrag „auszusetzen“. Der Vertrag mit den USA sieht als letzter Atomwaffen-Abrüstungsvertrag vor, dass beide Staaten jeweils maximal 1550 einsatzbereite Sprengköpfe und 800 Trägersysteme besitzen dürfen. Die Schuld wies er nicht überraschend den USA und der Nato zu.

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In der abgelesenen Rede vor der Föderalen Versammlung, orthodoxen Geistlichen, Wirtschaftsführern, Künstlern und Militärs kam auch sonst nichts, was nicht zu erwarten gewesen wäre.

Schon am Anfang wiederholte Putin seine Kriegsschuld-Märchen. „Sie haben den Krieg losgetreten“, sagte er mit Blick auf den Westen. Russland versuche lediglich, die Kämpfe zu beenden. Eine Aussage im Widerspruch zu seiner Äußerung, der Krieg werde fortgesetzt: „Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent, werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen.“

Für Putin läuft irgendwie alles weiter nach Plan

Das hört sich seit fast einem Jahr so an. Trotz schrecklicher Verluste an Menschen und Kriegsgerät und dem Rückzug aus weiten Teilen des zunächst überrannten Gebiets tönt die Moskauer Propaganda, alles laufe „nach Plan“.

Und überhaupt, behauptete Putin: „Die westlichen Eliten halten ihr Ziel nicht verborgen: Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, das heißt, uns ein für alle Mal zu erledigen.“ Es sei absurd, dass Russland „in irgend einer Form von der Ukraine oder sonst jemandem militärisch bedroht wurde“, erklärte dazu der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan.  „Niemand greift Russland an“.

Erfolglose russische Armee soll modernisiert werden, verspricht Putin

Putin pries die Modernisierung des Nuklearwaffen-Arsenals und kündigte an, die in der Ukraine relativ erfolglos operierende Armee insgesamt zu modernisieren. Die Armee, die die Ukraine und ihre auch jetzt wieder von Putin als „Neonazi-Regime“ diffamierte Führung binnen weniger Tage hatte besiegen wollen.

Wladimir Putin, einmal klein, zweimal groß: Der russische Präsident hielt seine Rede an die Nation in einem Moskauer Veranstaltungszentrum
Wladimir Putin, einmal klein, zweimal groß: Der russische Präsident hielt seine Rede an die Nation in einem Moskauer Veranstaltungszentrum Sputnik/Kreml Pool/AP

Die Verluste kamen nur insofern vor, dass es eine Schweigeminute gab und Putin versprach, weitere finanzielle Unterstützung für Kriegsveteranen und die Angehörigen der vermutlich bereits über 100.000 russischen Gefallenen zu leisten. Dafür solle es einen Staatsfonds geben. Wer in der „militärischen Spezialoperation“ weiter kämpfe, solle alle halbe Jahre 14 Tage Urlaub bekommen.

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Vereinte Nationen wissen von 8006 toten Zivilisten in der Ukraine, es seien aber viel mehr

Über die Folgen des Kriegs für die ukrainischen Zivilisten schwieg Putin. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, half da nach und hat die hohe Opferzahl seit Beginn des russischen Angriffs verurteilt. Man habe 8006 Todesopfer unter der ukrainischen Zivilbevölkerung registriert sowie fast 12.300 Verletzte. Türk: „Unsere Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs“. Das Büro registriert nur Fälle, die unabhängige Experten individuell bestätigt haben.

Nur zur Erinnerung: Kurz nach Beginn des Krieges massakrierten russische Soldaten hunderte Zivilisten in Städten wie Butscha vor Kiew, hinterließen Verzweiflung und Hass.
Nur zur Erinnerung: Kurz nach Beginn des Krieges massakrierten russische Soldaten hunderte Zivilisten in Städten wie Butscha vor Kiew, hinterließen Verzweiflung und Hass. Rodrigo Abd/AP

Stehende Ovationen erntete Putin dafür bei seinem Versprechen, die teilweise okkupierten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson ganz toll wieder aufzubauen, neue Betriebe und damit neue Jobs zu schaffen. 

Putins Annäherung an die Realität ist auch nur die halbe Wahrheit

Der einzige Punkt, bei dem Putin der Realität einigermaßen nahe kam, war seine Einschätzung, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland wirkungslos seien. Das ist zwar nicht wahr, wie übereinstimmende Analysen zeigen. Die Strafmaßnahmen wie das Öl-Embargo, der Stopp von Gas-Importen und das Ausfuhrverbot für verschiedenste Produkte haben allerdings nicht zu einem Kollaps der russischen Ökonomie geführt.

US-Präsident Joe Biden mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda in Warschau.
US-Präsident Joe Biden mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda in Warschau. Piotr Molecki/imago

Die Rede war im propagandistischen Wettlauf mit dem Westen eine Niederlage: Mit seinem überraschenden Besuch in Kiew am Montag hatte US-Präsident Joe Biden einen Treffer gelandet. Am Dienstag reiste er nach Warschau, traf dort mit Präsident Andrzej Duda zusammen. Polen unterstützt den Abwehrkampf der Ukraine massiv.

Biden lobte bei dem Gespräch mit Duda die Nato: „Es ist das bedeutsamste Bündnis, ich würde sagen, vielleicht das bedeutsamste Bündnis der Geschichte, und zwar nicht nur der modernen, sondern der gesamten Geschichte.“ Ein Jahr nach Beginn des Kriegs sei die Nato „stärker als je zuvor“.

Polen sieht die Nato als Garant seiner Sicherheit

Duda erklärte, er sehe die Anwesenheit von US-Truppen als wichtiges Element der Sicherheit seines Landes. „Polen ist sicher dank der Anwesenheit von US-Truppen, dank der Anwesenheit von Truppen der Nato-Staaten, dank unserer Anstrengungen um die Sicherheit Polens.“

In dem östlichen Nato- und EU-Mitgliedsland befinden sich nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Washington bereits etwa 11.000 US-Soldaten, die meisten auf Rotationsbasis. Die Regierung in Warschau hofft auf eine noch größere US-Militärpräsenz.

Biden dankte Polen für seine Unterstützung der Ukraine. „Das ist außergewöhnlich“, sagte er. Biden betonte, dass die USA Polen und die Nato ebenso bräuchten wie die Nato die USA. „Wir müssen Sicherheit in Europa haben. So grundlegend, einfach und bedeutsam ist das.“

Am Abend hielt Biden in Polens Hauptstadt eine Rede halten, lesen Sie hier, was er gesagt hat.