Machte Fehler des Verfassungsschutzes Nazi-Mord möglich?
Schlimmer Verdacht: Die Bluttat hätte verhindert werden können.

Fast genau ein Jahr nach dem rechtsextrem motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (65, CDU) beginnt am Dienstag der Prozess gegen den mutmaßlichen Todesschützen und Neonazi Stephan E. (46) und seinen Mittäter Markus H. (44). Kurz vorher wurde jetzt bekannt, dass es Markus H. möglicherweise nur deshalb gelang, die Mordwaffe zu beschaffen, weil der hessische Verfassungsschutz Erkenntnisse über den Rechtsextremisten nicht an die Waffenbehörde weitergeleitet hatte.
Das Waffenrecht sieht vor, dass jemand nur dann eine Waffenbesitzkarte erhält, wenn er zuvor fünf Jahre lang keine verfassungsfeindliche Bestrebungen an den Tag gelegt hat. Sonst gilt er als unzuverlässig. 2015 hatte H. in einem Verwaltungsgerichtsverfahren erfolgreich gegen die Verweigerung der Karte geklagt, weil der Verfassungsschutz nur sechs Jahre alte Erkenntnisse über seine rechtsextremen Machenschaften gemeldet hatte. Nach Recherchen des NDR jedoch hatte der Verfassungsschutz einen aktuelleren Wissensstand aus dem Jahr 2011 über den Mann, leitete ihn aber nicht weiter.
Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Robert Schäfer, sagte, er habe keine Erklärung dafür, warum die Erkenntnisse von 2011 nicht übermittelt wurden. Ob es ein Fehler war, könne er heute nicht beurteilen. „Richtig ist, dass wir das heute anders machen würden.“

Der Neonazi Stephan E. soll Lübcke wegen dessen positiver Haltung gegenüber den 2015 in großer Zahl nach Deutschland kommenden Flüchtlingen sowie wegen dessen Stellungnahmen gegen die Rechtsradikale ermordet haben.
Der Angeklagte ist wegen versuchten Totschlags, eines versuchten Bombenanschlags, Brandstiftung und Körperverletzungen mehrfach vorbestraft, war jahrelang inhaftiert. Die Taten, sämtlich aus rechtsextremistischen Motiven, setzten bereits 1989 ein. Der verheiratete Vater zweier Kinder war zeitweilig NPD-Mitglied und soll der AfD 2016 eine Spende über 150 Euro überwiesen haben. Er wurde auch bei Auftritten der AfD-Politiker Björn Höcke und Andreas Kalbitz gesichtet. Seit etwa zehn Jahren waren die Behörden der Auffassung, der Extremismus des Fabrikarbeiters und Einfamilienhausbewohners sei „abgekühlt“.

Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 im Dorf Wolfhagen-Istha bei Kassel auf seiner Terrasse mit einem Revolver in den Kopf geschossen worden. Zwei Wochen später wurde Stephan E. festgenommen, führte die Ermittler zu einem Erdversteck, in dem unter anderem die Mordwaffe, eine Maschinenpistole und eine Pump-Gun lagen.
Markus H. soll Stephan E. an der Waffe ausgebildet haben. Ihm wird im Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt / M. Beihilfe zum Mord und Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen.