Prozess gegen VW-Manager: Wer ist schuld an „Dieselgate“?
Sechs Jahre nach dem Auffliegen des VW-Abgasskandals wird jetzt in einem Betrugsprozess über die strafrechtliche Verantwortung verhandelt.

Wer wusste wann was? Sechs Jahre nach dem Auffliegen des VW-Abgasskandals wird jetzt in einem Betrugsprozess über die strafrechtliche Verantwortung von VW-Managern für „Dieselgate“ verhandelt. Der Mammut-Prozess in der Braunschweiger Stadthalle beginnt allerdings ohne den Mann, der als Ex-Konzernchef im Mittelpunkt der Affäre steht.
Doch gleich zu Beginn des Strafprozesses hoben die Ankläger die aus ihrer Sicht klare Mitverantwortung von Ex-Konzernchef Martin Winterkorn hervor. Nicht nur leitende Ingenieure und einige Mitglieder des mittleren Managements, sondern auch der frühere Vorstandschef habe deutlich vor dem Einräumen des Betrugs gegenüber den US-Behörden von der Täuschungsstrategie gewusst, erklärte eine Staatsanwältin am Donnerstag in der ersten Sitzung. Vor dem Braunschweiger Landgericht sind neben Winterkorn vier weitere ehemalige Führungskräfte des Autobauers angeklagt.
Die Vorgeschichte: Der Skandal flog im September 2015 auf, als die US-Umweltbehörde EPA über Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos informierte. Kurz zuvor hatte VW falsche Testergebnisse eingeräumt. Wenige Tage später trat Konzernchef Martin Winterkorn zurück – eine Industriekrise ungeahnten Ausmaßes nahm ihren Lauf.

Schadenersatz über 280 Millionen Euro vereinbart
Seit mehreren Jahren schon sind zahlreiche Gerichte mit der Aufarbeitung zivilrechtlicher Aspekte wie der Entschädigung von Verbrauchern oder Investoren beschäftigt. Allein für die juristischen Kosten sind bei VW mehr als 32 Milliarden Euro angefallen oder zurückgestellt worden. Mittlerweile ist ein Schadenersatz-Deal mit Winterkorn, weiteren früheren Topmanagern und Haftpflichtversicherern über eine Gesamtsumme von 280 Millionen Euro ausgehandelt.
Der Vorwurf: In der Braunschweiger Stadthalle stehen vier Ex-Manager wegen des Vorwurfs gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs mit manipulierter Software in Millionen Autos und weiterer Straftaten vor Gericht. Der mutmaßliche Tatzeitraum reicht zurück bis ins Jahr 2006.
Die Angeklagten sollen laut Staatsanwaltschaft dafür verantwortlich gewesen sein, dass Behörden und Kunden mit der unzulässigen Software getäuscht wurden. Demnach wussten die vier, dass in Dieselmotoren illegale Abschalteinrichtungen zur gezielten Senkung von Stickoxid-Emissionen nur bei Tests eingesetzt wurden.
Neun Millionen Autos manipuliert
Nach Überzeugung der Strafverfolger haben die Angeklagten dieses Vorgehen für über 9 Millionen Autos der Marken VW, Audi, Seat und Skoda auch gewollt. Die Führungsriege soll das Programm mitentwickelt beziehungsweise die Weiterentwicklung nicht verhindert haben.
Der Vorstandschef: Von Beginn an richteten sich viele Fragen auch auf das Handeln oder Unterlassen des Ex-Vorsitzenden Winterkorn. Er trat zwar zurück und nahm damit eine Art allgemeine Verantwortung für das Geschehene wahr – beteuerte aber gleichzeitig, sich „keines Fehlverhaltens bewusst“ zu sein. Trotzdem ist der einst bestbezahlte Manager aller Dax-Konzerne jetzt der prominenteste Angeklagte. Bisher war der in München vor Gericht stehende frühere Audi-Chef und VW-Mitvorstand Rupert Stadler der höchste Konzernvertreter.
Verfahren gegen Winterkorn abgetrennt
Winterkorns Verfahren wurde allerdings aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt und „auf einen späteren Zeitpunkt“ vertagt. Gegen diese Abtrennung hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt.
Die Vorhersage: Von der Anklage im April 2019 bis zum Prozessstart sind bereits mehr als zwei Jahre vergangen, unter anderem wegen der Corona-Lage. Mit einem schnellen Verfahren in Braunschweig rechnet niemand. Derzeit sind insgesamt 133 Verhandlungstage bis ins Jahr 2023 hinein geplant.
Welche Folgen die Beschwerde der Ankläger gegen die Abtrennung des Winterkorn-Verfahrensteils hat, ist bisher unklar. Bis zum 28. September könnten sich die Beteiligten noch dazu äußern, sagte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG). Erst danach werde der zuständige Senat beraten und entscheiden. So beginnt die Verhandlung, an deren Ende mögliche Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren drohen, zunächst ohne eine der Hauptfiguren der VW-Dieselaffäre.