Weil Polizist Jugendlichen erschießt
Paris: Feuer und Straßenschlachten nach tödlichem Polizei-Schuss
Bei einer Verkehrskontrolle im Pariser Vorort Nanterre erschoss ein Polizist einen 17-jährigen Autofahrer aus nächster Nähe. Danach brachen Krawalle aus, ein Rathaus ging in Flammen auf.

Brennpunkt Banlieue: Im Pariser Vorort Nanterre sind nach einem tödlichen Polizeischuss auf den 17 Jahre alten Autofahrer Nahel bei einer Verkehrskontrolle schwere Krawalle ausgebrochen. Mülltonnen, Autos und eine Grundschule wurden von aufgebrachten Menschen in Brand gesetzt, Einsatzkräfte mit explodierenden Feuerwerkskörpern beschossen. Zwischen den Hochhaussiedlungen wurden Barrikaden errichtet und Feuerwehrkräfte bei ihren Einsätzen behindert, wie französische Medien berichteten.
HAUTS-DE-SEINE : Un adolescent de 17 ans a été tué par le tir d'un policier après un refus d'obtempérer à #Nanterre. (@Ohana_Fgn) pic.twitter.com/TD5jdtU6j2
— Infos Françaises (@InfosFrancaises) June 27, 2023
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Die Unruhen, die am Dienstagabend mit einer Demonstration vor der Polizeiwache von Nanterre begonnen hatten, griffen in der Nacht auf angrenzende Orte über. In Mantes-la-Jolie wurde ein Rathaus in Brand gesetzt und ging in Flammen auf. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein, musste sich angesichts der massiven Angriffe aber teils im Laufschritt zurückziehen. Nach Behördenangaben wurden 20 Menschen festgenommen.
Video: Polizist erschießt 17-Jährigen aus nächster Nähe
Eine Motorradstreife der Polizei hatte den mit drei Personen besetzten gelben Mercedes Auto am Dienstagmorgen gestoppt. Ein vom Sender France Info für echt erklärtes Video zeigt, wie einer der Beamten (38) seine Waffe auf Höhe der Fahrertür in das stehende Auto richtete. Die Situation scheint unter Kontrolle, hektische Bewegungen sind nicht zu erkennen. Als der 17-Jährige am Steuer plötzlich losfährt, feuert der Beamte aus nächster Nähe auf den Jugendlichen und trifft ihn tödlich in die Brust.

Das Auto fuhr dann noch einige Meter weiter und rammte schließlich eine Straßenabsperrung. Ein ebenfalls minderjähriger Mitfahrer wurde festgenommen und später wieder freigelassen, ein dritter ergriff laut Staatsanwaltschaft die Flucht.
Wie France Info berichtete, wurde der Beamte unter Totschlagsverdacht in Polizeigewahrsam genommen. Nach Angaben von Innenminister Gérald Darmanin nahm die Polizeiaufsicht Ermittlungen auf, um den Vorfall aufzuklären. Für den Beamten und seinen Kollegen gelte vorerst die Unschuldsvermutung, betonte der Minister.
Laut France Info hatten die Streifenpolizisten zunächst ausgesagt, der Jugendliche habe sie überfahren wollen. Später seien sie von dieser Version wieder abgerückt und hätten erklärt, er habe ihren Anordnungen keine Folge geleistet und dann plötzlich Gas gegeben – von einer Tötungsabsicht war keine Rede mehr.

Der Teenager soll wegen früherer Verkehrsdelikte und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte polizeibekannt gewesen sein. Innenminister Darmanin bezeichnete seinen Tod als „Drama“, wies zugleich aber darauf hin, dass Widerstand gegen die Staatsgewalt schon in vielen Fällen zum Tod von Polizisten geführt habe. Die Familie des Jungen kündigte über ihren Anwalt an, sie werde den Todesschützen wegen Mordes verklagen und auch wegen Falschaussage, weil seine Darstellung der Ereignisse von den Videoaufnahmen eindeutig widerlegt werde.
Überzogene Polizeigewalt in Paris führt zu Krawallen
Der tödliche Vorfall löste in Frankreich Empörung aus, angesichts der Videoaufnahmen wurde einmal mehr maßlos überzogene Polizeigewalt angeprangert. Immer wieder kommen Menschen in Frankreich bei banalen Fahrzeugkontrollen ums Leben, wenn sie sich nicht an Polizeianweisungen halten. Wie die Zeitung „L'Obs“ berichtete, starben 2022 bei Verkehrskontrollen 13 Menschen, nachdem sie sich der Polizei widersetzten und davonfahren wollten. Zu den Opfern gehören vielfach junge Männer mit Migrationshintergrund aus den Vorstädten, wo gewaltsame Proteste im Anschluss keine Seltenheit sind.
Oft geht es dabei nicht um Schwerkriminelle. Der 17-Jährige soll ursprünglich wegen eines Verstoßes gegen die Verkehrsregeln angehalten worden sein, wie France Info berichtete.
Auch deshalb löste der jüngste Todesfall bei einem Polizeieinsatz eine heftige politische Debatte aus. „Die Todesstrafe gibt es in Frankreich nicht mehr. Kein Polizist hat das Recht zu töten, es sei denn, es handelt sich um Notwehr“, twitterte Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. Die Polizei bringe die Autorität des Staates in Verruf und müsse von Grund auf reformiert werden.
Andere Politiker aus dem linken Spektrum zeigten sich ebenfalls empört und betonten, dass Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte noch lange nicht die Tötung eines Menschen rechtfertige.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte: „Wir haben einen Jugendlichen, der getötet wurde, das ist nicht zu erklären und nicht zu entschuldigen. Zunächst möchte ich hier die Emotion der ganzen Nation ausdrücken nach dem Geschehen und dem Tod des jungen Nahel und der Familie unsere ganze Solidarität und das Mitgefühl der ganzen Nation ausdrücken.“ Er wolle, dass die Justiz ihre Arbeit in Ruhe mache und die Wahrheit so schnell wie möglich offengelegt werde. „In so einem Zusammenhang braucht es Zuwendung und Respekt für den jungen Nahel.“
Premierministerin Élisabeth Borne betonte ihre Entschlossenheit, das Drama in Nanterre vollständig aufzuklären. „Ich wünsche mir, dass unser absolutes Verlangen nach Wahrheit dazu führt, dass die Ruhe über die Wut siegt“, sagte sie mit Blick auf die Krawalle.
Die Vororte von Paris sind von schweren Problemen geplagt
Pariser Vororte (Banlieues) sind häufig soziale Brennpunkte mit einem hohen Migranten-Anteil. Im Oktober und November 2005 hatten Unruhen vom Banlieue Clichy-sous-Bois aufs ganze Land übergegriffen, nachdem zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei in eine Trafostation tödliche Stromschläge erlitten hatten. Häuser und an die 8500 Autos brannten. Schließlich verhängte die Regierung den Notstand.
Der französisch-malische Regisseur Ladj Ly ließ sich von den Unruhen zu seinem mehrfach preisgekrönten Film „Les Misérables“ (2019) inspirieren, der sich um drei Polizisten und um Kinder und Jugendliche in einem Vorort dreht, die in eine Gewaltspirale geraten.