Missbrauch von Kindern findet häufig im nahen sozialen Umfeld statt. 
Missbrauch von Kindern findet häufig im nahen sozialen Umfeld statt.  Annette Riedl/dpa

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnet für das Jahr 2021 in Deutschland 15.507 durch die Polizei ausermittelte Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs. Viel mehr Mädchen  waren betroffen, in 681 Fällen wurde sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und Jugendlichen aufgedeckt. Im selben Jahr wurden 44.276 Fälle sogenannter Kinder- und Jugendpornografie zur Anzeige gebracht. So weit das sogenannte polizeiliche Hellfeld.

Das Dunkelfeld, die Zahl der nicht polizeilich bekannten Fälle, ist aber weitaus größer. Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren haben ergeben, dass etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. 

Die Mehrzahl der sexuellen Übergriffe auf Kinder bleibt ungeahndet. Die Mehrzahl der betroffenen Kinder leidet im Verborgenen. 

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Mit einer neuen bundesweiten Kampagne gegen sexuelle Gewalt an Kindern mit Flyern und Broschüren wollen das Bundesfamilienministerium und die Missbrauchsbeauftragte des Bundes, Kerstin Claus, daher mehr Bewusstsein für das Thema schaffen.

Wer wegsieht und dem Verdacht auf Missbrauch nicht nachgeht, verlängert das Leiden der Betroffenen. 
Wer wegsieht und dem Verdacht auf Missbrauch nicht nachgeht, verlängert das Leiden der Betroffenen.  Imago / Sergey Nivens

Sexuellen Missbrauch im Umfeld nicht verdrängen 

Viele Menschen würden sexuellen Missbrauch in ihrem Umfeld verdrängen, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Donnerstag bei der Vorstellung der Kampagne. Doch genau das dürfe nicht passieren.

„Wir Erwachsene haben die Verantwortung, für Kinder da zu sein. Wir haben die Verantwortung, einen Verdacht nicht wegzuschieben, ihn nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern ihm nachzugehen“, sagte Paus. Die neue Kampagne mit dem Titel „Schieb den Gedanken nicht weg!“ solle helfen, gewohnte familiäre Denkmuster infrage zu stellen und sexuellen Missbrauch im Alltag besser zu erkennen.

Die Fallzahlen für Kindesmissbrauch steigen

In der polizeilichen Kriminalstatistik wurden im vergangenen Jahr 15.500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch registriert - das ist ein Anstieg um 6,3 Prozent im Vergleich zu 2020. Etwa drei Viertel der Fälle spielten sich im engsten sozialen Umfeld ab, so Paus. 

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Auch die Politik müsse mehr tun, um betroffene Kinder zu schützen. Sie werde daher noch in dieser Legislaturperiode das Amt der Unabhängigen Beauftragten für sexuellen Kindesmissbrauch (UBSKM) auf eine gesetzliche Grundlage stellen, kündigte die Ministerin an. Ziel sei es, die rechtliche Stellung des Amtes und seine Aufgaben verbindlicher zu regeln. Zudem soll Paus zufolge eine regelmäßige Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag etabliert werden.

Die neue Kampagne ist als mehrjähriges Projekt angelegt. Neben der Verbreitung von Informationen sollen lokale Initiativen mit einem Kampagnenbüro gestärkt werden. Auch der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen - ein Forum des Bundes mit mehreren Arbeitsgruppen - soll die Arbeit unterstützen.

Was tun bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch 

Was Mütter und Väter, aber auch Angehörige und Fachkräfte bei einem Verdacht tun können, erklärt die Broschüre „Mutig fragen - besonnen handeln“ des Bundesfamilienministeriums.  Sie zeigt außerdem, wie Kinder gestärkt und vor sexuellem Missbrauch geschützt werden können.

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Kostenfrei, anonym und bundesweit erreichbar ist außerdem das „Hilfetelefon Sexueller Missbrauch“. Unter der Telefonnummer 0800/22 55 530 finden Betroffene von sexueller Gewalt, Angehörige und alle Interessierten kompetente Beratung. Menschen, die Entlastung und Unterstützung suchen, die sich um ein Kind sorgen, die einen Verdacht oder ein „komisches Gefühl“ haben, die unsicher sind und Fragen zum Thema stellen möchten, können das Hilfetelefon während seiner Sprechzeiten montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr erreichen.

Woran erkennt man sexuellen Missbrauch

Ein erster wichtiger Schritt ist, dass man die Form von Gewalt im persönlichen Umfeld überhaupt für möglich hält  und sie als Ursache für Verhaltensänderungen von Kindern und Jugendlichen in Betracht zieht.  Wenn ein Kind sich zurückzieht, still oder aggressiv wird, sich schlecht konzentrieren kann, Schlafprobleme oder Bauch- und Kopfschmerzen ohne erkennbare medizinische Ursache hat, sollte man aufmerksam sein.