Weltkulturerbe Hagia Sophia : Neuer Streit um 1500 Jahre altes Gotteshaus
Türkisches Gericht muss feststellen, ob die einstige Kirche in Istanbul vom Museum wieder zur Moschee wird

Istanbul - Mitten im Zentrum der türkischen Metropole, gleich neben dem Topkapi-Palast, erhebt sich ein steinernes Gebirge, umstellt von vier später hinzugefügten schlanken Minaretten: Die Hagia Sophia, fast 1500 Jahre alt, Weltkulturerbe. Jetzt warten nicht nur Türken gespannt auf ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts in Ankara, ob die einstige Kirche und spätere Moschee, die jetzt ein Museum ist, erneut Moschee wird. Die Frage ist auch ein Politikum.
Der oströmische Kaiser Justinian hatte das Bauwerk errichten lassen, im Jahr 537 wurde es nach nur fünf Jahren Bauzeit fertig. Erdbeben ließen die Kuppel mehrmals einstürzen, weil sie zu flach war, seit dem Jahr 562 ist sie runder, 55 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 33 Metern – gewaltig für einen Ziegelbau.

Rund 900 Jahre lang war die „Heilige Weisheit“ das größte christliche Gotteshaus der Welt, Krönungskirche des byzantinischen Kaiserreichs. 1453 mit der Erstürmung der oströmischen Hauptstadt durch die Osmanen unter Sultan Mehmet II. dem Eroberer fand das ein Ende, aus Konstantinopel wurde Istanbul und die Kirche zur Moschee. Trotz seiner christlichen Geschichte prägte das Gebäude aber das muslimische Leben im Osmanischen Reich, Baumeister wie Sinan orientierten sich bei Moschee-Entwürfen am Vorbild der Hagia Sophia.

1934 endete die Zeit des Bauwerks als Moschee. Mustafa Kemal Atatürk, Begründer der Republik Türkei, setzte durch, dass die Hagia Sophia zum Museum wurde. Überdeckte christliche Mosaike und Wandmalereien, so sie nicht zerstört worden waren, wurden von Übermalungen und Putz befreit – jetzt sieht man Christus als Weltenherrscher neben gewaltigen arabischen Kalligrafien und muslimischen Einbauten, die an die Verwendung als Moschee erinnern. 2019 zählte man 3,7 Millionen Besucher in der Hagia Sophia, die so das meistbesuchte Museum der Türkei war.

Ob das so bleibt, ist ungewiss. Ein Verein hatte 2016 Klage eingereicht und eine Annullierung der Entscheidung von 1934 gefordert. Die Unterschrift Atatürks sei gefälscht. Hinter dem Verein soll ein pensionierter Lehrer stehen, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee zu erwirken. Dieses Ziel, so heißt es, wird von der islamisch geprägten Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan geteilt – dabei hat Istanbul über 3000 Moscheen.
US-Außenminister Mike Pompeo sah sich bemüßigt, den Türken zu erklären, die Hagia Sophia müsse auch bei einer Rückumwandlung in eine Moschee für jedermann zugänglich bleiben. Die Regierung in Ankara meinte dazu, das Gebäude gehöre der Türkei, man habe ihren historischen und kulturellen Wert immer hochgehalten. Im Übrigen sind Moscheen in der Türkei jenseits der Gottesdienste offen für Besucher – nur die Schuhe muss man ausziehen.

Prof. Dr. Christoph Markschies, Theologe und Professor für Antikes Christentum an der Humboldt-Universität und Vorsitzender der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sagte dem KURIER: „Es war eine große Geste, als seinerzeit Atatürk die Hagia Sophia in ein Museum umwandelte und damit auch nichtmuslimischen glaubenden und nicht glaubenden Menschen öffnete.“ Durch diese Maßnahme sei es gelungen, auch die Spuren der Geschichte dieses Baus als Kirche für alle Besucher sichtbar zu machen. Markschies weiter: „Es bleibt zu hoffen, dass die damalige einladende Geste jetzt nicht dadurch dementiert wird, dass es zu Einschränkungen beim Betreten kommt und die christlichen Spuren zugedeckt werden. Religionen sollen einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben in einer sehr spannungsreichen Welt leisten.“
Das Gericht hat nach türkischen Berichten seine Anhörungen beendet und will spätestens in zwei Wochen das Urteil bekannt geben.