Neue Serie: Hass und Drohungen im Internet – jeder Vierte hat Angst. Das können Sie gegen Anfeindungen und Einschüchterungen unternehmen
Wer seine Meinung im Netz äußert, wird dafür immer heftiger attackiert, selbst offene Drohungen sind keine Seltenheit mehr

Drohungen und Beleidigungen gehören seit Jahren zu den üblen Begleiterscheinungen erhitzter Diskussionen. Meinungsfreiheit wird im Grundgesetz geschützt, dennoch ziehen sich immer mehr Internetnutzer aus Diskussionen in sozialen Netzwerken zurück. Denn die Debatten, die dort über Politiker oder kontroverse Themen wie Corona-Schutzmaßnahmen, über Promi-Äußerungen oder Gesetzesvorhaben geführt werden, gleiten immer häufiger ab in Hass-Tiraden und Shitstorms. Wer sich gegen Desinformation und Hetze wendet, wird nicht selten zur Zielscheibe offener Bedrohungen. Promis und andere in der Öffentlichkeit stehende Personen beauftragen Anwälte, um gegen ungewollte Meinungen vorzugehen. Muss man sich das gefallen lassen und wie kann man vorgehen, wenn man im Netz bedrängt oder bedroht wird?

Josephine Ballon ist Head of Legal, also Chef-Juristin der privaten Beratungsstelle HateAid. Zusammen mit ihrem Team berät sie Betroffene, und wenn es nötig ist, unterstützt HateAid diese, auch vor Gericht gegen Hassrede vorzugehen.
Berliner KURIER: Frau Ballon – Leute, die im Internet bedroht und beleidigt werden, haben häufig Angst. Was tut Ihre Beratungsstelle für Betroffene, warum ist die Arbeit von HateAid so wichtig?
Josephine Ballon: Wir wollen Betroffene befähigen, sich so sicher wie möglich im digitalen Raum zu bewegen, damit sie sich nicht aus der öffentlichen Debatte zurückziehen müssen – was leider die häufigste Konsequenz ist. Wir wissen aus unseren Umfragen, dass bereits die Hälfte der Internetnutzenden sich seltener vor allem zu politischen Debatten äußert – aus Angst davor, selbst angefeindet zu werden, selbst wenn sie noch keine eigenen Erfahrungen gemacht haben.
Wo ist die Grenze zwischen pointierter Meinungsäußerung und Beleidigung, Drohung?
Dafür habe ich kein Patentrezept, weil es immer eine schwierige Abwägungsentscheidung ist. Die Freiheit, seine eigene Meinung zu äußern, endet dort, wo die Rechte von anderen schützenswerter sind, zum Beispiel die Persönlichkeitsrechte, die Ehre. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese zu verletzten: Das eine ist die Beleidigung, sie liegt dann vor, wenn es nur noch darum geht, sein Gegenüber herabzuwürdigen, wenn keine sachliche Auseinandersetzung mit einer Sache mehr stattfindet, die in irgendeiner Form noch als Kritik ausgelegt werden kann, sondern es wirklich nur noch darum geht, das Gegenüber einzuschüchtern.
Wie sieht es bei Lügen oder haltlosen Behauptungen aus, kann sich da jemand auf die Meinungsfreiheit berufen?
Wir haben in Deutschland die Besonderheit, dass das Verbreiten von Lügen über eine Person eine Straftat ist. Verleumdung und üble Nachrede umfassen auch das Verbreiten von Informationen, die falsch sind und einfach nur geteilt werden – obwohl ich gar nicht weiß, ob das richtig oder falsch ist –, das heißt, ungeprüft Inhalte im Internet zu teilen, ist auch keine gute Idee und womöglich strafbar, wenn man dadurch Lügen über Personen repliziert.
Wenn sich jemand auf eine nachweisbare Tatsache bezieht, also beispielsweise dass sich jemand transfeindlich, verächtlich oder bedrohlich geäußert hat, und sich darauf beziehend pointiert äußert, kann das nicht als Verleumdung gewertet werden?
Ja, wenn das eine Tatsache ist und nicht eine Meinung, so wie: finde ich jemanden hässlich oder dumm. Eine Tatsache, beispielsweise dass jemand bestechlich sei, sollte man beweisen können. Wenn ich das nicht kann und es trotzdem verbreite, wäre es eine üble Nachrede – und wenn ich sogar weiß, dass es nicht stimmt, auch eine Verleumdung.
Jemanden zu bedrohen oder entsprechende Straftaten zu billigen, kann strafbar sein – unter welcher Voraussetzung?
Eine Bedrohung, beispielsweise eine Morddrohung, muss in der Regel sehr konkret sein, also nicht beispielsweise: ‚Ich krieg dich‘, das ist zu vage. Es muss wirklich der Eindruck erweckt werden, dass die Person etwas Konkretes planen könnte und dass man sich darunter etwas vorstellen kann.
Die Billigung von Straftaten ist ein Straftatbestand, der im letzten Jahr nachgebessert wurde – sodass wir da jetzt auch Straftaten drin haben, die noch gar nicht begangen wurden. Darunter können wir viele Internetphänomene fassen, die jetzt als Billigung von potenziellen Straftaten strafbar sind.
Macht es eigentlich einen Unterschied, ob die Person, über die ich mich äußere, in der Öffentlichkeit steht oder eine Privatperson ist?
Das kann einen Unterschied machen in der detaillierten juristischen Beurteilung. Wenn eine Person in der Öffentlichkeit steht und sich selbst regelmäßig mit einer polarisierenden Meinung zu umstrittenen Themen äußert und dann widerspricht jemand, dann muss sie auch überspitzte Kritik aushalten. Überspitzte Kritik heißt aber trotzdem, dass es eine Auseinandersetzung mit einer Sache geben muss. Wenn die Person einfach nur mit Schimpfwörtern beworfen wird, ist das keine Sachauseinandersetzung. Aber natürlich gibt es keinen Anspruch darauf, nicht kritisiert zu werden, und in diesem Fall auch keinen Anspruch, nicht überspitzt kritisiert zu werden. Dann muss man es auch aushalten, wenn eine überspitzte Sprache benutzt wird, die aber nicht im Schwerpunkt auf das Niedermachen gerichtet ist.
Wann sollte ich zur Polizei gehen oder den Fall dort anzeigen? Könnte ich mir dadurch Probleme einhandeln?
Wenn ich damit zur Polizei gehe und Strafanzeige erstatte, nicht. Es ist ein Grenzfall, wenn man Privatnachrichten veröffentlicht. Es gibt Rechtsprechung in einem anderen Bereich, nach der eine Person des öffentlichen Lebens auch damit rechnen muss, dass so etwas veröffentlicht wird. Angenommen, Olaf Scholz würde als Bundeskanzler so eine Nachricht schreiben, könnte er nicht sagen: Ich habe darauf vertraut, dass meine Nachrichten privat sind. Dann muss man damit rechnen, dass jemand damit an die Öffentlichkeit geht.
HateAid: Beratung und Hilfe bei Bedrohungen im Netz
Frau Ballon, warum wenden sich Betroffene an Hate Aid, was können Sie tun und was nicht? HateAid ist ursprünglich eine Beratungsstelle, nicht zur Rechtsberatung, sondern zur psychosozialen Beratung von Betroffenen digitaler Gewalt. Digitale Gewalt ist ein Begriff, den wir ganz bewusst sehr weit fassen, weil wir alle Phänomene abdecken und allen Menschen die Möglichkeit geben wollen, sich an uns zu wenden mit dem, was sie im Internet erlebt haben. Die einzige Einschränkung, die wir haben: Es muss einen digitalen Bezug geben, weil wir darauf spezialisiert sind.
Wir bieten psychosoziale Betroffenen-Beratung an, emotionale Begleitung in schwierigen Situationen, wir bieten aber auch Sicherheitsberatung, also konkrete IT-Sicherheitsberatung zur Frage: Welche Informationen finde ich über mich öffentlich, wie kann ich meine Privatsphäre-Einstellungen verbessern, um private Daten besser zu schützen? Dazu bieten wir auch Kommunikationsberatung in dem Sinne: Wie gehe ich persönlich damit um, wenn ich häufiger angefeindet werde?
Alle Infos über Kontaktmöglichkeiten und Sprechzeiten auf https://hateaid.org/
Ankündigung: Die nächste Folge der Serie zu Hass und Drohungen im Internet erscheint am Freitag auf berliner-kurier.de zum Thema Doxing: Was tun, wenn ich persönlich im Internet bedroht werde?