Kommentar
Neid und Unmut: Corona-Lockerungen verstärken die Spaltungen der Gesellschaft
Bei allen Lockerungen muss die Politik darauf achten, dass nicht einzelne Gruppen privilegiert werden. Das würde für noch mehr Neid und Unmut sorgen.

Das Ende der dritten Corona-Welle kommt hoffentlich langsam in Sicht und mit ihr das Ende der Pandemie. Die Zahl der Toten ist massiv gesunken, die Intensivstationen sind gefüllt, aber meist nicht überfüllt, es gibt keine Bilder von Toten auf Krankenhausfluren. Nun sinkt auch die Inzidenz. Das Impfen wirkt – wie erwartet – und sorgt für erste Entspannung.
Am Montag hat das „Corona-Kabinett“ über schnelle und bundesweit einheitliche Lockerungen beraten, die noch diese Woche beschlossen werden sollen. Die Grundidee: Da Geimpfte und Genesene als kaum ansteckend gelten, geht von ihnen keine Gefahr aus. Damit können ihnen die Grundrechte nicht weiter vorenthalten werden. Sie sollen wieder in die Außengastronomie dürfen oder in Geschäfte.
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Eine schnelle Rückkehr zu den Grundrechten sollte selbstverständlich sein, doch entscheidend ist, ob diese Rechte auch all jene zurückerhalten, die noch nicht geimpft sind, aber einen Test vorlegen. Sonst würden die Grundrechte nur einer Minderheit wieder gewährt. Das wäre eine Privilegierung und würde die Spaltung und den Unmut weiter fördern.
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Je länger die Pandemie dauert, um so klarer wird, dass vor diesem Virus eben nicht alle gleich sind und dass sich die vorhandenen Spaltungen der Gesellschaft weiter vertieft haben.
Es gibt Warner und Zweifler, es gibt Hysteriker und Ignoranten
Die Gesellschaft ist nicht einfach nur gespalten in jene, die bereits geimpft sind und jene, die darauf warten. Dazu kommen Leute, die gar nicht geimpft werden wollen. Ganze Freundeskreise sind geteilt in Befürworter der Regierungspolitik und in ihre Kritiker und Gegner. Es gibt Warner und Zweifler, es gibt Hysteriker und Ignoranten. Und alle sind genervt.
Diese Gesellschaft ist nicht einfach nur gespalten in Arm und Reich, in viele Verlier und wenige Gewinner. Es gibt Leute, die nur darauf warten, sobald wie möglich in den Urlaub zu dürfen, und es gibt Leute, die ihre Lebensersparnisse verloren haben und das Vertrauen in einen funktionierenden Staat.
Die Gesellschaft hat sich gespalten in Leute, die sich regelmäßig treffen und jene, die sich kaum vor die Tür trauen und ihre Kinder schwer verunsichern. Es gibt jene, die jeden Tag an die Werkbank müssen und jene, die sich in Homeoffice und Homeschooling aufreiben. Andere sitzen in Kurzarbeit zu Hause, die nächsten sind einfach rausgeflogen. Das Wirtschaftsleben ist gespalten: Die Industrie läuft, die Dienstleistungsbranche und der Handel liegen am Boden.
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Überall dominieren die Unterschiede, die auch den individuellen Umgang mit Corona bestimmen. Die einen können im eigenen Auto – ganz geschützt – durch Berlin fahren, andere sind auf Busse und Bahnen angewiesen. Die einen leben recht allein im Eigenheim und in Gegenden mit niedriger Inzidenz, andere leben dicht gedrängt in den engen Wohnungen der Hochhaussiedlungen mit stärkeren migrantischen Milieus. Dazu kommen andere Faktoren: das Bildungsniveau, fehlende Ersparnisse und Jobs, in denen kein Homeoffice möglich ist. In solchen Kiezen werden oft viel mehr Corona-Fälle gezählt.
Es stehen neue harte Verteilungskämpfe an
Deshalb wird diskutiert, in Brennpunkt-Kiezen verstärkt zu impfen. Die mobilen Impfteams, die bisher zu den Pflegeheimen fuhren, sollen nun dorthin. Aber auch das wird für Unmut sorgen, weil andere frustriert sind, die auch schon lange warten.
Die Verteilungskämpfe um die Impfstoffe werden wohl recht schnell enden, aber in der Coronazeit wurden gigantische Mengen Geld ausgegeben, und es stehen neue harte Verteilungskämpfe an. Und dann wird ein entscheidender Unterschied der zwischen Alt und Jung sein. Die geimpften Alten bekommen wohl schon jetzt schneller mehr Freiheiten gewährt und stehen langfristig finanziell oft besser da. Die ungeimpften Jungen dürfen derzeit offiziell kaum Kontakte haben, sind aber ungeduldig und sehen sich mit jeder weiteren Lockdown-Woche ihrer Zukunft beraubt.
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Sie treffen sich heimlich, denn es ist eigentlich ein Grundrecht der Jugend, unvernünftig zu sein, sich auszuprobieren, zu scheitern: in der Liebe, im Beruf, in Freundschaften. Doch all das ist nicht erlaubt, von Erwachsenen, die ständig nur über den Untergang ihrer Welt reden, frustriert Wein trinken und den Teenagern Vorwürfe machen, wenn die sich zum Knutschen im Park treffen.
Überall Vorwürfe. Das ist das aktuelle Bild dieser Gesellschaft. Mehr Vorwürfe und Neid als Zusammenhalt und Solidarität. Überall Ungleichheiten. Die sollte die Politik auf keinen Fall weiter verstärken. Aber es ist Wahlkampf, und das macht die Sache nicht leichter. Es könnte ein heißer Sommer werden. Vielleicht auch meteorologisch, sicher aber politisch.