Letzte ukrainische Verteidiger verschanzen sich in Stahlwerk

Nach fast zwei Monaten Dauerbombardement: Kreml verkündet Einnahme von Mariupol

Der russische Verteidigungsminister erklärt, Moskau habe die Kontrolle über die umkämpfte Stadt. Doch in einem Stahlwerk harren immer noch Kämpfer und Zivilisten aus.

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Sergej Schoigu (r.), Verteidigungsminister von Russland, verkündete Kremlchef Wladimir Putin (l.) die Einnahme Mariupols.
Sergej Schoigu (r.), Verteidigungsminister von Russland, verkündete Kremlchef Wladimir Putin (l.) die Einnahme Mariupols.dpa/Russian Presidential Press Service

Zwei Monate lang haben die russischen Truppen die südostukrainische Hafenstadt zerbombt, jetzt hat das Militär angeblich Mariupol endgültig unter seine Kontrolle gebracht. Bei einem im Staatsfernsehen übertragenen Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin verkündete Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Einnahme der umkämpften Industrie-Metropole.

Letzte Verteidiger Mariupols in Stahlwerk verschanzt

„Die verbliebenen ukrainischen Kampfeinheiten haben sich auf dem Industriegelände der Fabrik Asowstahl verschanzt“, sagte Schoigu. In dem weiträumigen Komplex, der über zahlreiche Tunnel verfügt, sollen sich noch über 2000 ukrainische Soldaten aufhalten, die die Stadt bis zuletzt verteidigten. Doch Putin will das Werk nach neuen Plänen nicht stürmen lassen. Vielmehr sollte das Gebiet so engmaschig belagert werden, dass „keine Fliege mehr heraus kann“, so der Präsident. Er forderte die Menschen in dem Stahlwerk auf, die Waffen niederzulegen.

Im Industriekomplex von Asowstahl haben sich 2000 ukrainische Soldaten und 1000 Zivilisten verschanzt.
Im Industriekomplex von Asowstahl haben sich 2000 ukrainische Soldaten und 1000 Zivilisten verschanzt.AFP/Mariupol City Council

Die von Schoigu gemeldete Einnahme der Stadt bezeichnete der Kreml-Chef als „Erfolg“. Zuvor hatte die ukrainische Seite Verhandlungen vorgeschlagen über das Schicksal der Kämpfer und die Rettung von Zivilisten, die in dem Werk Zuflucht gesucht hätten.

Der Fall Mariupols würde den Druck auf die Partnerländer weiter erhöhen, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach dessen tagelangen, eindringlichen Bitten mehr und schwere Waffen zu liefern. Er könne mit „vorsichtigem Optimismus“ sagen, dass die Partner Kiews „sich unserer Bedürfnisse bewusster geworden sind“, sagte Selenskyj dazu in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Donnerstag.

Deutschland bereitet Ringtausch für Lieferung schwerer Waffen vor

Auch Deutschland, vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), war tagelang Zögerlichkeit bei der Lieferung schwerer Waffen vorgeworfen worden. Die Bundesregierung bereitet nun statt direkter Lieferungen einen Ringtausch schwerer Waffen an Kiew vor. Dabei soll der Nato-Partner Slowenien eine größere Stückzahl seiner T-72-Kampfpanzer an die Ukraine abgeben und aus Deutschland dafür den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs erhalten.

Das noch aus der Sowjetzeit stammende Waffensystem T-72 wird vom ukrainischen Heer bereits eingesetzt und erfordert keine umfangreiche Zusatzausbildung. Nach Informationen der dpa aus Regierungskreisen hat Slowenien als Kompensation auch moderneres Gerät aus Deutschland angefordert, darunter den deutschen Kampfpanzer Leopard 2, den Radpanzer Boxer sowie den Schützenpanzer Puma, der in der Bundeswehr als Nachfolger des seit 50 Jahren genutzten Marder eingeführt wird.

Weitere Massengräber entdeckt

Unterdessen sind im Kiewer Vorort Borodjanka nach ukrainischen Angaben zwei weitere Massengräber entdeckt worden. Darin hätten sich insgesamt neun Leichen von Zivilisten, Männer wie Frauen, befunden, teilte Andrij Nebitow von der Polizei der Hauptstadtregion in der Nacht zum Donnerstag auf Facebook mit. Einige von ihnen hätten Folterspuren aufgewiesen. Borodjanka gehört zu den am stärksten zerstörten Städten in der Hauptstadtregion. Aus der Stadt wurden Gräueltaten der mittlerweile abgezogenen russischen Einheiten gemeldet. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.