Russlands Strom-Rache an ukrainischen Zivilisten. Lambrecht (SPD) wirbt für bessere Verteidigungsfähigkeit
In weiten Teilen der Ost-Ukraine ist der Strom durch russische Angriffe ausgefallen. Deutsche Verteidigungsministerin will militärische deutsche Führungsrolle

Es wurde dunkel in weiten Teilen der Ost-Ukraine. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haben die russischen Truppen aus Rache für ihren fluchtartigen Rückzug im Nordosten Stromleitungen und Kraftwerke beschossen. In der Folge sei auch vielfach die Wasserversorgung unterbrochen worden.
Kein Strom auch in „befreiten“ Gebieten unter russischer Besatzung
Die Regionen Charkiw und Donezk seien komplett ohne Strom, teilte Selenskyj am Sonntagabend auf Twitter mit. Mit Donezk auch ein Gebiet, das noch von russischen Truppen gehalten wird. Meldungen über Probleme bei der Strom- sowie der Wasserversorgung gab es auch aus anderen Gebieten des Landes. „Russische Terroristen bleiben Terroristen“, schrieb Selenskyj.
Sein Berater Mychajlo Podoljak teilte mit, in Charkiw sei eines der größten Wärmekraftwerke des Landes getroffen worden. Zwischenzeitlich gab es am Abend in der gesamten Ukraine Luftalarm. Später teilten zumindest die Behörden in den Gebieten Sumy, Dnipropetrowsk und Poltawa mit, dass dort die Stromversorgung wieder hergestellt worden sei.
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Ukraine berichtet von flüchtenden Russen im Süden des Landes
Der ukrainische Generalstab berichtete unterdessen, russische Truppen flüchteten nicht nur aus Charkiw, sondern teils auch aus dem südlichen Gebiet Cherson. Filmaufnahmen zeigen, dass ukrainische Truppen bis an die russische Grenze nördlich von Charkiw vorgerückt sind und sich keinen russischen Truppen gegenüber sehen.
In Deutschland waren (wie berichtet) schon am Sonntag Stimmen aus den Ampelparteien FDP und Grüne sowie von der Union nach weiteren Militärhilfen für das angegriffene Land laut geworden, die Ukraine fordert die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil zogen sich aber in Stellungnahmen auf die Ablehnung von deutschen „Alleingängen“ zurück, man müsse sich mit den USA, den Franzosen, Briten oder Italienern abstimmen. Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffman stieß ins gleiche Horn: „Der Bundeskanzler hat ja mehrfach gesagt, es wird keine Alleingänge, keine deutschen Alleingänge in dieser Sache geben.“

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ging darauf bei einer Grundsatzrede am Montag bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik nicht konkret ein, brachte aber einen neuen Zungenschlag in die Debatte, indem sie eine militärische Führungsrolle Deutschlands ins Gespräch brachte. Allerdings blieb auch sie bei der Position der SPD gegen „Alleingänge“.

Lambrecht: Staaten benötigen Streitkräfte als letztes Instrument
Lambrecht sagte: „Der Ukraine-Krieg hat allen, auch uns friedensgewohnten Deutschen gezeigt, dass Staaten Streitkräfte als letztes Instrument benötigen, nämlich immer dann, wenn ein Feind entschlossen ist, Einmarsch, Vernichtung, Mord und Vertreibung mit zu seinen Mitteln zu machen.“ Mit „unseren alten Selbstbildern“ sei die „Zukunft unserer Kinder und Enkel in Frieden und Freiheit nicht mehr zu garantieren“.

Die Ukraine heute „existiert nur deswegen, weil sie sich militärisch wehren kann. Wir müssen daraus die Lehre ziehen: Wir selbst brauchen starke, kampfbereite Streitkräfte, damit wir uns und unser Bündnis zur Not verteidigen können.“ Denn Deutschland profitiere von einer Friedensordnung, die es selbst nicht aufrechterhalten könne. Vor allem, weil die USA ihr Augenmerk auf den pazifischen Raum werfe. Die Amerikaner würden zwar noch Atomwaffen für Europa aufbieten, aber Europa müsse seine konventionelle Kampfkraft stärken.
Verteidigungsministerin fordert höhere Ausgaben
Deshalb müsse das Ziel erreicht werden, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken. Lambrecht verlangt, dass die EU-Länder stärker kooperieren und 35 statt nur acht Prozent der Rüstungsinvestitionen selbst zu beschaffen.
Unterdessen erklärte der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, Deutschland habe mit der Lieferung von Waffen an die Ukraine eine „rote Linie“ überschritten.