Nach Protest im russischen Fernsehen
Journalistin Marina Owssjannikowa bangt nach Plakat-Protest um ihr Leben – „Es kann alles passieren, ein Autounfall, alles, was die wollen“
Nach ihrer Plakataktion im russischen Staatsfernsehen hat sich Marina Owssjannikowa bei Freunden versteckt.

Für ihre mutige Protestaktion gegen den Ukraine-Krieg während der russischen Hauptnachrichtensendung im Staatsfernsehen wurde die Journalistin Marina Owssjannikowa weltweit als Heldin gefeiert. In einem ersten Entscheid wurde sie dafür zu umgerechnet 226 Euro Strafe verurteilt und kam nach stundenlangen Vernehmungen wieder auf freien Fuß. Das Hauptverfahren steht noch aus, ihr drohen 15 Jahre Haft. Und jetzt muss die Mutter zweier Kinder in Russland um ihr Leben zittern. Eines sei klar, meint Owssjannikowa: „Mein Leben hat sich für immer verändert.“
Aber trotz ihrer Angst um ihre Sicherheit will die Russin mit ukrainischen Wurzeln ihr Land nicht verlassen. Sie sei jetzt der „Feind Nummer eins hier“, aber „wir werden in Russland bleiben“, sagte Marina Owssjannikowa in einem Interview des Spiegel über sich und ihre beiden Kinder – sie hat einen 17 Jahre alten Sohn und eine elf Jahre alte Tochter.
Zwar mache sie sich große Sorgen, so Owssjannikowa weiter. „Es kann alles passieren, ein Autounfall, alles, was die wollen, dessen bin ich mir bewusst.“ Aber: „Ich bin Patriotin, mein Sohn (ist) ein noch viel größerer. Wir wollen auf keinen Fall weg, nirgendwo hin auswandern“, sagte sie im Hinblick auf ein Asylangebot von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dabei wisse sie: „Mein Leben hat sich für immer verändert, das begreife ich erst langsam. Ich kann nicht mehr zurück in mein altes Leben.“
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Die Redakteurin des russischen Staatsfernsehens hatte am Montagabend in den Hauptnachrichten des Ersten Kanals ein Protestplakat gegen den Krieg in der Ukraine in die Kamera gehalten. Auf dem Plakat war auch zu lesen, dass die Zuschauer „hier belogen“ werden.

Zudem bezeichnete Owssjannikowa den russischen Angriff auf die Ukraine in einem separat aufgenommenen Video als Verbrechen. In russischen Staatsmedien ist es untersagt, von einem Krieg zu sprechen. Die Staatsführung nennt das Vorgehen im Nachbarland eine „militärische Spezialoperation“ zur „Entmilitarisierung“ und zur „Entnazifizierung“ der Ukraine.
Derzeit verstecke sie sich bei Freunden, sagte Owssjannikowa dem Spiegel. Sie habe große Angst vor den Folgen ihres Handelns und bange um ihre Sicherheit. Aber sie „habe bereits den Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gibt“, sagt die Journalistin. „Ich kann nun offen und öffentlich so sprechen.“ Zum Zeitpunkt ihrer Protestaktion habe sie nicht an die weitreichenden Konsequenzen gedacht, sagte Owssjannikowa. „Sie werden mir nun bewusst. Jeden Tag mehr und mehr“, sagte die 44-Jährige.
Owssjannikowa drohen bis zu 15 Jahre Haft für Protestaktion im Fernsehen
Owssjannikowa war für ihre Aktion bereits am Dienstag zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel, rund 226 Euro, verurteilt worden. Möglicherweise droht ihr aber noch eine weitere Strafe: Es seien Ermittlungen wegen der angeblichen Verbreitung von Lügen über Russlands Streitkräfte aufgenommen worden, meldete die Staatsagentur Tass unter Berufung auf eine Quelle bei den Ermittlungsbehörden. Befürchtet wurde, dass Owssjannikowa doch noch nach dem neuen Mediengesetz belangt werden könnte, das bis zu 15 Jahre Haft vorsieht.
Das Bewusstsein für eine Realität jenseits der offiziellen Sicht der russischen Staatsführung habe sie auch im Umgang mit Auslandsnachrichten und ausländischen Medien entwickelt. „Ich verstehe, dass jeder Staat für seine Interessen kämpft, wir uns in einem Informationskrieg befinden“, sagte die Journalistin. „In unserem Land hatte die Staatspropaganda aber schon vor dem Krieg in der Ukraine schreckliche Formen angenommen. Jetzt mit Beginn des Krieges ist es unmöglich, die Propaganda zu ertragen.“
Nach ihrer Aktion werde ihr Leben nun „ganz anders“ werden, meint Owssjannikowa, auch wenn sie nicht wisse, was wird. „Planen kann sowieso niemand mehr.“ Der russische Krieg gegen die Ukraine habe „alle Pläne zerstört“.