Fall Nawalny

Moskau zweifelt an Vergiftung

Ehefrau steht an der Seite des Kreml-Kritikers, der in der Charité im Koma liegt

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Julia Nawalny kommt zur Charité. Sie wandte sich in Russland an Präsident Putin, damit ihr Mann ausgeflogen werden darf.  
Julia Nawalny kommt zur Charité. Sie wandte sich in Russland an Präsident Putin, damit ihr Mann ausgeflogen werden darf. Foto: Christoph Soeder/dpa

Die russische Regierung hat die Vermutung von Charité-Ärzten, der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny (44) sei vergiftet worden, als vorschnell bezeichnet. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte: „Wir verstehen nicht, warum es unsere deutschen Kollegen so eilig haben, das Wort ‚Vergiftung‘ zu verwenden.“

Nachdem es in der vergangenen Woche, als Nawalny in einem Krankenhaus im sibirischen Omsk lag, sehr unterschiedliche Erklärungen über die mögliche Ursache für Nawalnys Erkrankung gegeben habe, die teilweise zurückgezogen wurden, teilte Peskow jetzt mit: „Diese Version war eine der ersten, die unsere Ärzte in Betracht gezogen haben.“

Der Sprecher versuchte, die Befunde der Charité zu relativieren: Sie könnten auch durch die Einnahme von Medikamenten zurückzuführen seien. Die Ärzte in Omsk seien bereit, Proben der ersten Analyse den Kollegen in Berlin zur Verfügung zu stellen.

Aus dem russischen Gesundheitsministerium kam die Mutmaßung, das Nawalny beim Transport nach Berlin etwas bekommen habe, dessen Wirkung einer Vergiftung durch sogenannte Cholinesterase-Hemmer gleich komme, die an der Charité vermutet wird. Aus dem Omsker Krankenhaus verlautete, man habe sofort nach der Einlieferung das gleiche Gegenmittel Atropin erhalten, das auch in Berlin eingesetzt wird.

Nawalny war am Donnerstag auf einem Flug von Tomsk in Sibirien nach Moskau bewusstlos geworden. Das Flugzeug landete deshalb in Omsk. Die Mitarbeiter Nawalnys, einem erbitterten Gegner von Russlands Präsident Wladimir Putin, vermuteten von Anfang an eine Vergiftung.

Am Sonnabend durfte Nawalny - bis jetzt im Koma - mit einem Spezialflugzeug nach Berlin gebracht werden, begleitet von seiner Frau Julia. Er wird auf dem Campus Mitte der Charité behandelt, in Lebensgefahr soll er nicht mehr schweben. Am Montag gab die Klinik bekannt, es gebe Hinweise auf eine Vergiftung, aber noch kein Ergebnis, welches Gift genau zum Einsatz kam.

Julia Nawalnaja hatte auf eine Behandlung in Deutschland gedrängt. Sie wolle, dass ihr Mann von Ärzten behandelt wird, denen man vertrauen könne. Zuvor hatten die auf Krankentransporte spezialisierten deutschen Ärzte, die nach Omsk gereist waren, zunächst keinen Zugang zu Nawalny erhalten. In Berlin hält sich Julia Nawalny, die mit ihrem Mann eine Tochter und einen Sohn hat, stundenlang in der Charité auf, betritt sie mit Maske und Sonnenbrille.

Die Familie Nawalny vor einem knappen Jahr in Moskau: Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia, seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar, nachdem die Eltern bei der Stadtratswahl abgestimmt hatten.  
Die Familie Nawalny vor einem knappen Jahr in Moskau: Alexej Nawalny mit seiner Frau Julia, seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar, nachdem die Eltern bei der Stadtratswahl abgestimmt hatten. Foto: Andrew Lubimov/AP/dpa

Ihr Mann, der bei seiner politischen Tätigkeit Frau und Kinder gern erwähnt und sich so als Familienmensch präsentiert, wird jetzt von Beamten des Bundeskriminalamts bewacht, offenbar wird nicht ausgeschlossen, dass er auch hier noch in Gefahr ist.

Der Fall hat inzwischen die deutsch-russische Ebene verlassen. So sagte der „Hohe Vertreter“ der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell: „Es ist unerlässlich, dass die russischen Behörden unverzüglich eine unabhängige und transparente Untersuchung einleiten. Das russische Volk und die internationale Gemeinschaft fordern eine Aufarbeitung der Fakten hinter der Vergiftung von Herrn Nawalny. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Ähnlich hatten sich bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) geäußert.

Manche deutsche Politiker legen sich bei der Suche nach der Verantwortung schon fest, wohl deshalb, weil bei früheren Attentaten deutliche Spuren in den Kreml führten. So sagte Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und Kandidat um den CDU-Vorsitz, dem Spiegel: „Obwohl ein starker Verdacht schon bestand, ist die Gewissheit der Vergiftung schockierend und eine abstoßende Politik der russischen Führung.“ Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen: „Es ist nun für jeden offensichtlich, dass diese Art von Mordversuchen und Morden System hat.“