Hessen : Morddrohungen gegen Linke-Politikerin: Was wusste die Polizei?
Wieder NSU 2.0, wieder Hessen: Erst werden Drohungen gegen die Politikerin Janine Wissler bekannt, danach müssen die Behörden einräumen, dass erneut Informationen aus einem Polizei-Computer genutzt wurden.

Innerhalb der Polizei in Hessen gibt es ein rechtsextremes Netzwerk, das offenbar größer ist als bisher vermutet. Seit fünf Monaten erhält die Linke-Politikerin Janine Wissler Morddrohungen per Mail. Sie sind mit NSU 2.0 unterzeichnet – und eine Spur führt dabei direkt zur hessischen Polizei. Wieder einmal.
Wissler hatte sich im Februar an die Sicherheitsbehörde gewandt, weil sie kurz hintereinander zwei Mails erhalten hatte, in denen sie mit dem Tode bedroht wurde. Die Wiesbadener Polizei nahm die Ermittlungen auf und stellte schnell fest, dass sie sich dabei auch auf die eigenen Reihen konzentrieren muss: Die anonymen Schreiber hatten Kenntnis von privaten Daten der 39-jährigen Politikerin, die zuvor von einem Polizeicomputer in der hessischen Landeshauptstadt abgerufen worden waren.
Bekannt wurde das allerdings erst am Wochenende – nach vier Monaten Ermittlungen, in denen weder die Betroffene noch sonst irgendjemand von dem brisanten Recherche-Ergebnis erfahren hatten. Nach der Veröffentlichung in der Frankfurter Rundschau erhielt Wissler prompt weitere Drohmails. Die letzte ging Anfang der Woche ein – ein stilisiertes „Gerichtsurteil“, in dem ihr die Todesstrafe angedroht wird. „Diese Leute müssen sich sehr sicher fühlen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im hessischen Landtag, Hermann Schaus, am Donnerstag der Berliner Zeitung. Wer sie sind, das ist allerdings auch nach Monaten der Ermittlungen, die laut Polizei selbstverständlich unter Hochdruck geführt werden, noch unklar. Die Mails selbst kamen offenbar von einem Provider im Ausland.
Bereits vor zwei Jahren hat es einen Fall gegeben, der eindeutige Parallelen zum jetzigen aufwirft. Damals war die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız bedroht wurden. Die anonymen Mails an sie waren ebenfalls mit NSU 2.0 unterzeichnet. Die Juristin hatte als Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess die Familie eines Mordopfers vertreten. Das Schreiben enthielt die Privatadresse der Anwältin sowie den vollen Namen ihrer Tochter. Damals stellten die Ermittler fest, dass diese Angaben von einem Polizeicomputer in Frankfurt abgerufen worden waren.
Daraufhin wurden umfangreiche interne Ermittlungen eingeleitet, die unter anderem die Existenz einer Chatgruppe der Polizei zutage förderten, in der rechtsextreme Inhalte ausgetauscht wurden. Insgesamt ist seither in 70 Fällen bei der Polizei ermittelt worden. Zwölf Polizisten wurden entlassen, 26 Fälle wurden eingestellt, rund 30 sind noch anhängig. Wer die Drohungen an Seda Başay-Yıldız und ihre Familie geschickt hatte, konnte bislang nicht ermittelt werden. Sie hat insgesamt 13 Drohschreiben erhalten. Offenbar enthielten einige davon Abkürzungen, wie sie vor allem im Polizeidienst gebräuchlich sind.
Innenminister setzt Sonderermittler ein
In Wiesbaden hat man offenbar nicht ganz so eifrig ermittelt. Die Beamten hielten es nicht einmal für nötig, den hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) über ihre brisante Spur zu informieren. Er habe erst am Vortag davon erfahren, sagte der Minister am Donnerstagnachmittag. „Das ist inakzeptabel.“ Beuth übte scharfe Kritik an der Handhabung des Falles durch das Landeskriminalamt (LKA). Es habe die nötige Sensibilität vermissen lassen. Beuth berichtete davon, dass er selbst sowie Ministerpräsident Volker Bouffier und weitere Landespolitiker ebenfalls Drohmails erhalten haben. Er habe einen Sonderermittler eingesetzt, der direkt dem Landespolizeipräsidenten unterstellt sei, um so eine bessere Information zu gewährleisten. Es gebe nach wie vor keine Belege für ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei, sagte Beuth weiter. Dass es aber nun abermals wie bei der Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im Vorfeld der Drohmails eine Abfrage aus Polizei-Computern gegeben habe, mache betroffen. „Dieser Verdacht wiegt schwer“, so der Minister. Der Polizist, der die Meldeadresse von Janine Wissler im Februar abgefragt hatte, wird seiner Aussage nach dennoch nur als Zeuge und nicht als Beschuldigter geführt.
Janine Wissler selbst will sich zu der Angelegenheit nicht äußern. Ihr Fraktionskollege Hermann Schaus zeigte sich allerdings sehr verwundert darüber, dass die Polizei seit vier Monaten verschweigt, dass sie ganz offensichtlich selbst in den Fall verwickelt ist. Er verwies darauf, dass es besonders in Nordhessen stark vernetzte Strukturen von Neonazis gebe, die zum Teil mit Gesinnungsgenossen in Thüringen, aber auch international kooperierten. Aus diesem Dunstkreis stammte auch der Mann, der mutmaßlich den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke umbrachte. Der Mord ist bereits ein Jahr her, die Szene dort aber nicht annähernd aufgedeckt. Im Gegenteil. „Diese Leute werden immer dreister“, sagte Schaus.
Bundesinnenminister Horst Seehofer mochte den Fall am Donnerstag nur kurz kommentieren. Er stellte in Berlin zusammen mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, den Verfassungsschutzbericht 2019 vor. Der Fall spiele in erster Linie in Hessen, erklärte er. „Dann liegt dort auch die Verantwortung.“ Selbstverständlich seien derartige Vorgänge inakzeptabel und müssten mit Nachdruck aufgeklärt werden.
Seehofer kündigte an, dass er wie geplant im September erste Ergebnisse über die Verbreitung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in den deutschen Sicherheitsbehörden vorlegen werde. Das Kapitel über die hessische Polizei dürfte dann zu den ausführlicheren gehören.