Vater der Perestroika wird 90
Michail Gorbatschow – Held oder „Totengräber der Sowjetunion“?
Er gilt als einer der größten Reformer des 20. Jahrhunderts. Nun wird der Friedensnobelpreisträger und frühere Kremlchef 90 Jahre alt.

Als einer der Väter der Deutschen Einheit sicherte Michail Gorbatschow sich seinen Platz in der Geschichte schon vor 30 Jahren. Er gilt als einer der größten Reformer des 20. Jahrhunderts. Nun wird der Friedensnobelpreisträger und frühere Kremlchef am 2. März 90 Jahre alt.
Und auch im hohen Alter kommt Gorbatschow nicht zur Ruhe. Trotz Krankenhausaufhalten und weitgehender Isolation wegen der Corona-Pandemie meldet sich der Friedensnobelpreisträger oft zu Wort – mit seinen Sorgen um den Zustand der Welt. „Nur keinen Krieg zulassen“, sagt der frühere Sowjetpräsident in einem aktuellen, auf seiner Internetseite gorby.ru veröffentlichten Interview.
„Frieden erhalten und eine Verbesserung des Lebens der Menschen erstreben!“ Was er sich wünsche zu seinem Geburtstag am 2. März? „Freundschaft und Unterstützung“, antwortet er.

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Erleichtert ist „Gorbi“, wie ihn die Deutschen achtungsvoll nennen, nicht zuletzt, weil US-Präsident Joe Biden und Kremlchef Wladimir Putin den letzten großen nuklearen Abrüstungsvertrag – New Start – der beiden größten Atommächte gerade noch gerettet haben.
Nach seinem Machtantritt 1985 als Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion leitete Gorbatschow in den 1980ern mit den USA weitreichende Abrüstungsinitiativen ein. Manches davon kündigte Washington zuletzt auf. Gorbatschow bedauert dies und mahnt neue, größer angelegte Abrüstungsinitiativen an.
Zu seinem Jubiläum schaut der erste und letzte Sowjetpräsident auf viele geopolitische Großtaten zurück: auf die Deutsche Einheit, die er damals mit Kanzler Helmut Kohl aushandelte und damit auch den Kalten Krieg beendete – und auf seine Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung), mit der er die Menschen einst von kommunistischer Gewaltherrschaft befreite.
Bis heute gilt Gorbatschow als Freiheitssymbol, als jener Kremlchef, der nicht nur das Ende der DDR und die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte. Für Eindruck bei Gorbatschows Reisen in den Westen sorgte dabei auch die Eleganz seiner Frau Raissa. Als die einstige First Lady der Sowjetunion im Jahr 1999 stirbt, trauert Russland mit seinem umstrittenen Nationalhelden.

Gorbatschow überließ neben der DDR auch andere von Moskau bevormundete Ostblock-Staaten ihrem selbstbestimmten Schicksal. Zusehen musste er letztlich, wie sich in der Wende schließlich die baltischen Staaten von der Sowjetunion lossagten – und wie am Ende das gesamte von Moskau mit Gewalt erhaltene kommunistische Imperium zusammenbrach.
Im Westen als großer Staatsmann und Wegbereiter der deutschen Einheit verehrt, sehen ihn jedoch noch heute viele Russen als „Totengräber“ der Sowjetunion, der die stolze Weltmacht, die im Zweiten Weltkrieg den Hitlerfaschismus besiegt hatte, erniedrigte und am Ende zerstörte. 30 Jahre ist das in diesem Jahr her. Und es war auch Gorbatschows Ende als mächtigster Mann in Moskau, als 1991 Boris Jelzin nach einem Putsch die Macht übernahm.
Für den demokratisch gesinnten Teil der russischen Gesellschaft bleibt Gorbatschow auch mit seiner politischen Stiftung und als Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ eine wichtige Stimme.
Doch den Untergang der Sowjetunion hat Gorbatschow in seiner Autobiografie selbst bedauert – ebenso wie den gescheiterten Umbau der Kommunistischen Partei zu einer demokratischen. „Ich bedauere noch immer, dass es mir nicht gelungen ist, das Boot, an dessen Steuer ich stand, in einen guten Hafen zu fahren.“