Im Kabinett setzte Angela Merkel (CDU) das neue Infektionsschutzgesetz schon durch. 
Im Kabinett setzte Angela Merkel (CDU) das neue Infektionsschutzgesetz schon durch.  Foto: imago/Bildgehege

Die Corona-Notbremse per Gesetz ist noch gar nicht gezogen, da wird sie schon zerpflückt: Sogar im Kanzleramt werden jetzt Stimmen laut, die einen per Bundesgesetz geregelten Lockdown ablehnen. Experten sehen einem Zeitungsbericht nach dabei rechtliche Risiken.

Ausgangssperren „unverhältnismäßig“

Die „grundsätzliche Geltung einer nächtlichen Ausgangssperre“ sei mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit und die „derzeit nicht belegte Wirksamkeit“ problematisch, heißt es einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge in einem internen Vermerk aus dem Gesundheitsreferat. Weiter werde darauf hingewiesen, dass das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen eine nächtliche Ausgangssperre aufgehoben hatte.

Für angreifbar wird auch gehalten, dass der Gesetzentwurf einen „rein inzidenzbasierten Maßstab“ und keine anderen Faktoren – „z.B. R-Faktor, Zahl der Intensivpatienten“ – vorsieht, um bundesweite Verbote auszulösen. Als „besonders problematisch“ werden dem Bericht zufolge in Anbetracht des Rechts auf Bildung auch „automatische Schließungen von Kitas und Schulen“ erachtet. Hingewiesen wird zudem darauf, dass im Einzelhandel die Beschränkung der Anzahl zulässiger Kunden für eine bestimmte Quadratmeterzahl bereits „mehrfach gerichtlich beanstandet“ wurde.

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In dem vom Bundeskabinett gebilligten Gesetzentwurf sind für Regionen mit einer Inzidenz von mindestens 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche Ausgangsbeschränkungen von 21 bis 5 Uhr vorgesehen. Ab 200 Neuinfektionen müssen die Schulen wieder in den Distanzunterricht.

Unternehmer wollen klagen

Auch in den Ländern und bei Unternehmen wächst der Widerstand gegen das neu gefasste Infektionsschutzgesetz, das am Freitag erstmals im Bundestag beraten und am Mittwoch beschlossen werden soll.

Eine Gruppe von Firmen und Gastronomen will sogar gegen Merkels Pläne vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. „Die Regierung zwingt uns, weitere juristische Schritte zu unternehmen, weil wir schlicht am Ende sind“, begründete das Alexander von Preen, Vorstandschef der Sporthandelskette Intersport, im Handelsblatt.

„Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir überlegen, die gesetzlichen Regelungen vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen“, erklärt er. Ziel sei eine Rücknahme des Lockdowns für den Handel oder eine Entschädigung für die erlittenen Verluste.

Zu Intersport gehören deutschlandweit 1500 Sportfachgeschäfte. An der Initiative sind demnach außerdem Modehändler wie Engelhorn, L+T, Schuster und Tom Tailor, der Fahrradhändler Rose Bikes, aber auch Gastronomen wie L'Osteria beteiligt.

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Ein Riesenstreit steht auch der bayerischen Regierungskoalition wegen der Bundes-Notbremse bevor: Markus Söders (CSU) Koalitionspartner, die Freien Wähler, bereiten vor allem wegen der Ausgangssperre eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Neufassung des Infektionsschutzgesetzes vor. 

Söders Regierungskoalition zerstritten

Der Bund sei nicht die richtige Ebene, pragmatische und sinnvolle Entscheidungen anstelle der Länder zu treffen, sagte Parteichef Hubert Aiwanger.

Während der Streit um die Notbremse weiter tobt, klettern die Corona-Infektionszahlen unvermindert an: Mit 29.426 von den Gesundheitsämtern binnen eines Tages ans Robert Koch-Institut gemeldeten Fällen nähert sich die Zahl der neuen Corona-Fälle dem bisherigen Höchstwert. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 160,1.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, haben deshalb eindringlich an die Länder appelliert, nicht auf das Bundesgesetz zu warten und weitere Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu beschließen. Sonst drohe eine Überlastung der Kliniken. 

Intensivmediziner: „Es ist fünf nach zwölf“

Der frühere Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Uwe Janssens, warnte im Fernsehsender Phoenix: „Wir haben fünf nach zwölf, ihr müsst jetzt handeln, es muss jetzt eine Strategie verfolgt werden, die bundesweit einheitlich gilt.“