Manuela Schwesig: „Wer ein gutes Verhältnis zu Russland will, ist nicht gleich Putin-Freund“
Im Interview mit dem Kurier spricht die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern über die deutsch-russischen Beziehungen und ihre Krebserkrankung.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin muss derzeit an vielen Fronten kämpfen: Vor wenigen Tagen kippten Gerichte auch in ihrem Bundesland das Beherbergungsverbot - das Schwesig ausdrücklich befürwortete. Dazu kommen Drohgebärden aus den USA und schlechte SPD-Umfragewerte. Trotzdem wirkt Schwesig im Interview nicht übermäßig besorgt: Nicht erst während ihrer gerade überstandenen Krebserkrankung hat die gebürtige Brandenburgerin bewiesen, dass Aufgeben nicht ihre Sache ist.
KURIER: Frau Schwesig, im Mai haben Sie erklärt, dass Ihre Krebs-Behandlung abgeschlossen sei. Wie geht es Ihnen heute?
Manuela Schwesig: Mir geht es wieder gut, und ich bin natürlich sehr froh und dankbar, dass ich die Therapie gut überstanden habe. Jetzt bin ich wieder mittendrin im Alltag.
Sie haben gesagt, dass Sie – gerade in der Corona-Zeit – ein besonderes gesundheitliches Risiko eingehen, wenn Sie Ihre Arbeit als Ministerpräsidentin weitermachen. Haben Sie die Anstrengung im Rückblick unterschätzt?
Nein. Ich habe mir das damals sehr gut überlegt und das auch mit meinen Ärzten und natürlich meinem Mann besprochen. Die Corona-Pandemie fing an, als ich im letzten Drittel meiner Krebstherapie war. Den schlimmsten Teil hatte ich zum Glück schon überstanden. Ich habe mich damals entschieden, an Bord zu bleiben, weil unser Land einer ganz besonderen Herausforderung gegenübersteht. Wenn wir erwarten, dass die Pfleger, Ärztinnen und alle Beschäftigten im Einzelhandel im Einsatz sind, dann muss das auch für die Regierungschefin gelten, finde ich. Und das hat auch gut geklappt.

Die Infektionszahlen steigen wieder. Wie groß ist angesichts dessen Ihre Sorge um Ihre Gesundheit?
Ich mache mir in dieser Zeit, ehrlich gesagt, wenig Gedanken über mich selbst, sondern darüber, wie wir als Land gut durch diese Krise kommen. Allerdings kann ich jetzt noch besser als vor meiner Erkrankung nachvollziehen, wie es in der aktuellen Situation Menschen ergeht, die sich in einer Krebstherapie befinden oder chronisch krank sind. Ich vermisse auch medial manchmal die Stimmen derjenigen, die es in dieser Pandemie jetzt besonders schwer haben.
Ihr sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer hat in einem Interview mit meinen Kolleginnen gesagt, man müsse auch mit denen reden, die Masken oder Abstandsregeln verweigern. Sehen Sie das auch so?
Ob ich mich auf so eine Diskussion einlasse, hat nichts mit der Position des anderen zu tun, sondern mit der Art und Weise, wie so eine Debatte geführt wird. Solange man respektvoll miteinander umgeht, ist eine Diskussion immer möglich. Ich habe auch schon erlebt, dass Maskengegner vor der Staatskanzlei demonstriert haben – mit denen bin ich auch ins Gespräch gekommen. Ich sage aber auch ganz klar: Die große Mehrheit der Bevölkerung hält sich an die Regeln, obwohl das nicht immer angenehm ist. Sonst wären wir in Mecklenburg-Vorpommern nicht so gut durchgekommen.
Man hat schon den Eindruck, dass die lauten Kritiker oft mehr Aufmerksamkeit bekommen als diejenigen, die die Regeln befolgen. Haben Sie nicht Sorge, dass auch bei den Vernünftigen irgendwann die Frustration überwiegt und die dann sagen: Das bringt doch ohnehin alles nichts?
Kritik ist in Ordnung. Aber was nicht geht, ist, dass einige sich bewusst nicht an die Regeln halten und damit alle anderen in Gefahr bringen. Es geht in dieser Pandemie auch um die Frage, wie solidarisch oder wie egoistisch unsere Gesellschaft ist. Schützen wir uns gegenseitig oder macht jeder das, was er oder sie für sich nützlich hält? Ich bin fest davon überzeugt, dass die Frage, ob sich die Egoisten oder die Solidarischen durchsetzen, darüber entscheidet, wie wir durch diese Pandemie hindurchkommen.
Haben Sie Verständnis dafür, dass sich die junge Generation möglicherweise schwerer mit den Einschränkungen tut als ältere Leute, die vielleicht ohnehin mehr Zeit zuhause verbringen?
Es gibt ja auch viele ältere Menschen, die Einschränkungen hinnehmen müssen und gerne anders leben würden, als das im Moment möglich ist. Diese sind nur vielleicht gerade nicht so zu hören. Ich glaube nicht, dass der Riss da wirklich durch die Generationen geht. Ich sehe ja, wie vorbildlich sich zum Beispiel die vielen Schüler zur Zeit verhalten, die im Schulbus oder auf den Schulfluren Maske tragen. Ich würde mich diesem Pauschalurteil alt gegen jung nicht anschließen. Der Riss geht zwischen den Vernünftigen und Unvernünftigen entlang, oder zugespitzt zwischen den Solidarischen und den Egoistischen.
Das sogenannte Beherbergungsverbot, das Sie in Mecklenburg-Vorpommern vertreten haben, wurde Anfang der Woche gerichtlich gekippt. Wer in Ihrem Bundesland Urlaub macht, muss künftig weder in Quarantäne noch einen negativen Corona-Test vorweisen – ist das aus Ihrer Sicht eine gefährliche Entscheidung? Der Deutsche Tourismusverband lehnt Beherbergungsverbote immerhin auch ab.
Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern hatte von Anfang an eine klare Linie, und wir haben unsere Konzepte bei uns im Land auch mit der Tourismusbranche abgestimmt. Wir sind in einer besonderen Situation: Wir sind 1,6 Millionen Einwohner, und allein in Sommer kamen fünf Millionen Touristen. Das müssen wir mit Schutzmaßnahmen begleiten. Dass Reisen generell nichts mit dem Coronavirus zu tun hat, stimmt schlicht nicht. Warum es unzumutbar sein soll, von Menschen, die in Hochrisikoregionen leben, wenigstens einen negativen Corona-Test zu verlangen, das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn Gerichte das anders entscheiden, dann müssen wir das respektieren. So funktioniert unser Rechtsstaat, und das ist auch gut so. Aber das eigentliche Problem ist damit nicht kleiner geworden.
Sie haben in Mecklenburg-Vorpommern noch ein anderes Problem: Am Donnerstag haben die USA wegen des Baus der Erdgas-Pipeline Nordstream 2 ihre Sanktionsdrohungen erneuert, die auch den Hafen Mukran auf Rügen betreffen.
Diese Drohungen erleben wir ja schon die ganze Zeit. Aber dass die USA hier noch einmal nachgelegt haben, zeigt, wie ernst es ihnen ist. Hier ist jetzt die Bundesregierung gefragt. Es ist ungeheuerlich, dass eine befreundete Nation solche Drohungen gegen einen kleinen Hafen an der Ostsee ausspricht und Mecklenburg-Vorpommern wie einen Schurkenstaat behandelt, nur weil sie andere wirtschaftliche Interessen hat. Denn darum geht es den USA ja in Wirklichkeit, nicht um das Verhältnis zu Russland, sondern darum, das eigene teurere Fracking-Gas zu verkaufen.

Müssen Sie sich als SPD-Politikerin nicht auch fragen, ob ein Projekt wie Nordstream 2 in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch zeitgemäß ist? Es gibt ja auch viele Kritiker, die sagen, dass eine Erdgas-Pipeline hier genau der falsche Weg ist.
Das Gegenteil ist richtig. Ja, wir wollen die Energiewende. Aber wenn Deutschland 2022 richtigerweise aus der Atomkraft aussteigt und darauf der Kohleausstieg folgt, brauchen wir eine Übergangslösung, bis wir uns vollständig aus erneuerbaren Energien und Wasserstoff versorgen können. Dafür werden wir die Ostsee-Pipeline brauchen. Das entbindet uns nicht davon, die Energiewende voranzutreiben.
Sie haben das Verhältnis der USA zu Russland angesprochen. Auch in Deutschland ist das Verhältnis gespalten: Es heißt immer, die Ostdeutschen fühlten sich den Russen näher, verstünden sie besser und wären deshalb „putinfreundlicher“ – ist das nur ein Klischee?
Ich halte nichts von Schwarz-weiß-Diskussionen. Die Bürgerinnen und Bürger, die sich ein gutes Verhältnis zu Russland wünschen - und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein - sind nicht automatisch „Putin-Freunde“ und blind angesichts der Tatsache, dass es in Russland Probleme gibt, etwa beim Thema Menschenrechte. Dennoch ist es richtig, auf Dialog zu setzen. Ostdeutschland ist vielleicht geografisch und historisch näher an Russland. Aber sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland wünscht sich die Mehrheit der Bevölkerung gute Beziehungen zu Russland.
Um noch einmal auf Ihre Partei zu kommen: In der aktuellen Sonntagsfrage erreicht die SPD derzeit 15 Prozent und liegt damit hinter den Grünen und nicht weit vor der AfD. Ein Anlass zur Panik?
Nein. Die Umfragen sind nicht gut, und wir müssen als Sozialdemokraten da starke Nerven haben. Aber wir sind sehr gut aufgestellt, was das nächste Jahr angeht. Wir haben im Gegensatz zu allen anderen Parteien die Frage nach der Kanzlerkandidatur geklärt, und es gibt in der SPD großen Rückhalt für Olaf Scholz. Bei der Union habe ich leider das Gefühl, dass der Kampf gegen die Corona-Pandemie das eine oder andere Mal vom Schaulaufen potenzieller Kanzlerkandidaten überlagert wird. Die Union wäre gut beraten, diese Fragen schnell zu klären.
In den Umfragen scheint der SPD nicht zu helfen, dass sie die K-Frage geklärt hat.
Im Augenblick wird alles von Corona dominiert. In einer Krise gucken die Menschen nun mal auf die Kanzlerin, und sie genießt ein großes Vertrauen in der Bevölkerung. Aber im nächsten Jahr wird Frau Merkel nicht mehr zur Wahl stehen und die Bürgerinnen und Bürger müssen sich wirklich mit der Frage auseinandersetzen, wer in Zukunft dieses Land führen soll. Wir haben mit Olaf Scholz, der eine große Regierungserfahrung in Bund und Land hat, den besten Kandidaten. Deshalb wird sich das Blatt wenden.
Es ist noch nicht so lange her, da wurden Sie als die nächste SPD-Kanzlerkandidatin gehandelt. Hätten Sie den Job gerne übernommen?
Ich war immer für Olaf Scholz als Kanzlerkandidat. Mein Herz schlägt für Mecklenburg-Vorpommern. Das ist, denke ich, im letzten Jahr sehr deutlich geworden. Ich bin total gerne Ministerpräsidentin und werde ja hier nächstes Jahr auch zur Wiederwahl antreten. Gerade nach den Erfahrungen des letztes Jahres bin ich dankbar, dass ich wieder gesund bin. Ich möchte mein Land weiter gut durch die Krise bringen und nächstes Jahr die Wahl gewinnen. Das ist mein Ziel, und das ist eine ganze Menge.