Machtkampf bei Volkswagen : Wie der VW-Chef ins Schleudern kam
Um ein Haar, so heißt es in Wolfsburg, kam der Big Boss Herbert Diess um die Entlassung herum.

VW ist eine Macht, und Macht ist umkämpft. Herbert Diess (61), seit 2018 Chef des VW-Konzerns, hat bei internen Auseinandersetzungen mindestens ein blaues Auge davongetragen. Er gibt die 2015 angetretene Führung von VW ab, Hauptmarke in der größten Autogruppe der Welt. Offensichtlich nicht freiwillig, wird immer deutlicher, obwohl die PR-Maschine des Konzerns zu vermitteln versucht: Diess müsse als Konzern-Chef „mehr Freiraum“ für strategische Aufgaben erhalten. Hinter den Kulissen wird gemunkelt: Diess (Gehalt 2019: sieben Millionen Euro plus Rentenvorsorge) könne froh sein, nicht ganz abgesägt worden zu sein, weil er den Aufsichtsrat attackiert hatte.
Hintergrund sind massive Probleme: Beim neuen Golf 8 hinkt die Produktion wegen Software-Schwierigkeiten den Zielen hinterher, Mitarbeiter fühlen sich mit steigendem Druck ausgesetzt. Auch der VW-Hoffnungsträger, das Elektroauto ID.3, verzögert sich. Dazu kam, dass Diess in der Debatte um eine Corona-Autokaufprämie erfolglos weitgehende Forderungen aufgestellt hatte. Dann gab es Ärger um ein rassistisches Internet-Werbevideo. Und die Frage, ob gerade jetzt Diess' angeblicher Wunsch nach frühzeitiger Vertragsverlängerung angemessen sei.
Die Vertrauensleute der IG Metall machten mobil, sprachen dem Vorstand per offenem Brief über weite Strecken das Misstrauen aus. Man sei „zunehmend massiv besorgt“, vermisse eine klare Krisenstrategie zu den Produktionsproblemen. Kein Geheimnis ist, dass es zwischen Betriebsratschef Bernd Osterloh und Diess seit langem kriselt.

Diess wiederum zog vor mehr als 3000 Managern in einer Videokonferenz vom Leder und beklagte, dass Infos über Schwierigkeiten „durchgestochen“ worden seien: „Die Vorkommnisse im Aufsichtsrat in der letzten Woche und die Kommunikation über die Vorkommnisse im Aufsichtsrat helfen dem Unternehmen nicht. (...) Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passieren.“ Da blieb einigen der Mund offen. Im engsten Machtzirkel sitzen neben dem Vorsitzenden Hans Dieter Pötsch Vertreter der Familien Porsche und Piëch, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Betriebsratsmitglieder.
„Dr. Diess wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass sich Mitglieder des Aufsichtsrats strafbar gemacht haben“, erklärte VW. Dennoch empfanden manche, dass seine Äußerungen die Autorität des Aufsichtsrat untergraben hätten. Nur formalrechtliche Bedenken hätten Entscheidungsträger davon abgehalten, Diess zu feuern. Geholfen könnte auch haben, dass er sich für seine „unangemessenen und falschen“ Äußerungen entschuldigt hat. Das Gremium ließ mitteilen: „Die Mitglieder des Aufsichtsrates haben die Entschuldigung von Dr. Diess angenommen und werden ihn auch künftig bei seiner Arbeit unterstützen“.
Der Porsche-Piëch-Clan, der von Diess' Management-Qualitäten überzeugt und Mehrheitseigner des Konzerns ist, steht weiter zu ihm. Mit einer Mahnung: „Das Unternehmen muss jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen.“