Julian Reichelt ist nicht mehr Bild-Chefredakteur.  
Julian Reichelt ist nicht mehr Bild-Chefredakteur.   Foto: dpa/Jörg Carstensen

Sex, Lügen, Milliardengeschäfte: Das wäre DIE Story für die Bild-Zeitung, wird dort aber nur mit ein paar Zeilen abgehandelt. Hat sie doch den Bild-Chefredakteur Julian Reichelt (41) den Job gekostet. Knall auf Fall wurde er nach vier Jahren von seinen Aufgaben entbunden, durch den Chef der Welt am Sonntag ersetzt, Johannes Boie (37). Die Begründung: Reichelt hat den Vorstand im Frühjahr belogen und eine Beziehung mit einer Bild-Kollegin fortgesetzt. Tatsächlich war jetzt aber offenbar ein böser Artikel der New York Times der Anlass, Reichelt zu feuern. Seit Jahren soll er ihm untergebene Frauen, die mit ihm ins Bett gestiegen waren, in der Redaktion befördert haben. 

Im Frühjahr war er nach  Vorwürfen von Machtmissbrauch, sexueller Belästigung, Ausnutzung von Abhängigkeit sowie der Vermischung von Beruf und Privatleben zunächst für rund zwei Wochen freigestellt worden. Springer ließ ihn aber wieder zurückkehren, wenn auch ohne Personalverantwortung: Die Anschuldigungen, die Reichelt bestritten hatte, hätten sich nicht bestätigt. Es habe zwar „Fehler“ in der Personalführung gegeben, aber keine Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten. Deshalb habe man von einer Kündigung abgesehen.

Dabei war offenbar seit Jahren bekannt, dass Reichelt vermutlich schon seit 2014, als er Chef des Bild-Internetauftritts geworden war, jungen Kolleginnen nachstellte. Mit Komplimenten und Beförderungen, wobei die Frauen den Aufgaben teilweise nicht gewachsen gewesen seien, habe er sich laut Spiegel als Mentor präsentiert, und dann ging es nach Aussagen einer Frau irgendwann ins Hotel ...  

Todesstoß aus New York

Im März 2021 war die Affäre laut Springer abgeräumt, am vergangenen Sonntag kam dann aber ein frontaler Angriff aus den USA, wo die #MeToo-Bewegung gegen Sexismus besonders stark ist, und wo Springer seine Geschäfte ausgedehnt hat. Die New York Times berichtete detailliert über die Vorgänge und berief sich auf Unterlagen aus der Anwaltskanzlei, die im Frühjahr für Springer die Untersuchungen gegen den einstigen Kriegsberichterstatter Reichelt geführt hatte.

Damit wurde der Fall zum massiven geschäftlichen Problem, wahrscheinlich, weil Springer in den USA große Interessen hat: Der Verlag hatte für eine Milliarde Dollar das US-Politikportal Politico gekauft, wie die New York Times berichtete. Daraufhin wurde offenbar die Notbremse gezogen. Der Ruf in den USA dürfte dennoch ramponiert sein, streute die New York Times ganz im Bild-Stil Mitteilungen in ihren Bericht, die mit dem Fall Reichelt nichts zu tun haben, aber ein Bild des Springer-Verlags zeichnen: Der 1985 verstorbene Verleger Axel Springer sei fünf Mal verheiratet gewesen, und der gegenwärtige Springer-Chef Matthias Döpfner sammle Gemälde weiblicher Akte.

Deutscher Verleger stoppte Enthüllungsstory

Die Geschichte hat auch in Deutschlands Medienlandschaft für Aufregung gesorgt. Die Investigativ-Reporter des Ippen-Verlags, zu dem unter anderem die Frankfurter Rundschau gehört, hatten über Monate im Fall Reichelt recherchiert. Und am Ende verfügte der Verleger Dirk Ippen vergangenen Freitag, dass die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden. Er habe nicht gewollt, dass der Eindruck entsteht, man wolle dem Wettbewerber Springer wirtschaftlich schaden.

Die Reporter protestierten in einem empörten Brief, und Teile ihrer Recherche flossen in einen am späten Montagabend veröffentlichten Artikel im Spiegel mit ein, dessen Redakteure ebenfalls mit verschiedenen Frauen gesprochen, Unterlagen, E-Mails  und Handy-Nachrichten durchforstet hatten.

Der Spiegel berichtete jetzt, dass ein rotes Sofa eine Rolle gespielt habe. Praktikantinnen, die dort sitzend besonders witzig und sprachgewandt auftraten, hätten damit rechnen müssen, dass Reichelt ihr bald auf die Pelle rückte.

Wie es für Reichelt weiter geht, ist noch nicht ganz klar. Laut Spiegel wird mit ihm über die Kündigungsmodalitäten verhandelt. Also um Geld.