Lebensmittel könnten jetzt bis zu 20 Prozent teurer werden.
Lebensmittel könnten jetzt bis zu 20 Prozent teurer werden. dpa

Wer in diesen Tagen im Supermarkt einkauft, tankt oder seine Nebenkosten-Abrechnung liest, traut seinen Augen nicht: Die Preise schießen in die Höhe und drohen vor allem Geringverdienern die Luft abzuschnüren. Bis zu 20 Prozent könnten Lebensmittelpreise steigen, nachdem sich Gaspreise bereits verdoppelt und Spritpreise neue Höhen erklommen haben. Was kann man tun, um Verbraucher zielgerichtet zu entlasten?

Özdemir: Entlastung bei Lebensmittelpreisen vorrangig

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hält vor allem Entlastungen wegen steigender Lebensmittelpreise in Folge des Ukraine-Kriegs für wichtiger als bei den Spritpreisen. „Deshalb muss man schon fragen, ob eine Entlastung hier nicht zielgerichteter ist als beim Benzinpreis und allen zugutekommt, insbesondere denjenigen, die wirklich Not leiden“, sagte der Grünen-Politiker dem „Spiegel“.

Nicht jeder besitze ein Auto oder sei darauf angewiesen, aber jeder müsse sich ernähren. Özdemir betonte, dass mögliche Zuschüsse gezielt erfolgen müssten: „Wir können nicht mit dem Füllhorn durchs Land gehen, sondern müssen zielgerichtet helfen“. Er gehe davon aus, dass manche Lebensmittel wegen des Krieges teuer werden, und warnte Verbraucherinnen und Verbraucher vor sogenannten Hamsterkäufen. „Das würde erst recht dafür sorgen, dass die Preise durch die Decke schießen und die Händler gewisse Produkte rationieren.“ Die Ukraine produziert jede Menge Weizen, aber auch andere Produkte wie Mais, Sonnenblumen, Raps, Gerste und Roggen.

Discounter Aldi erhöht Preise auf breiter Front: 400 Artikel teurer

Die Folgen des Krieges machen sich langsam auch in deutschen Supermärkten bemerkbar. Zwar ist die Versorgung mit Lebensmitteln sicher, aber wie jüngst das Beispiel Aldi zeigte, werden Auswirkungen auf Preise sichtbar. Der Discounter erhöhe zurzeit die Preise auf breiter Front und gebe damit die Preisanhebungen der Hersteller infolge der Corona-Krise und des Ukraine-Krieges an die Kunden weiter, berichtete das Branchenfachblatt „Lebensmittel Zeitung“ am Donnerstag. Insgesamt sind nach Recherchen des Fachblatts rund 400 Artikel betroffen. Eine derartige Preisehöhungswelle habe es seit Jahren nicht mehr geben.

„Der Krieg gegen die Ukraine verändert die globale Rohstoffverfügbarkeit dramatisch“, sagte Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV). Raps- und Sojafuttermittel aus Russland und der Ukraine, die in die Lebensmittelproduktion „ohne Gentechnik“ flössen, stünden für längere Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen.

AfD will Mehrwertsteuer streichen, Union Umweltschutz aussetzen

Nun stehen unterschiedliche Konzepte im Raum, wie man auf die geänderte Marktlage reagieren sollte. Der sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, René Springer, fordert, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auszusetzen. Andere Stimmen, vor allem aus der Union und aus Interessensverbänden der Landwirtschaft, sehen den Ball in Brüssel und plädieren dafür, Umweltregeln zurückzustellen und damit die Produktion von Lebensmitteln anzukurbeln.

Die Heinrich-Böll-Stiftung sieht hingegen nur einen geringen Nutzen, sollte die EU versuchen, mehr Lebensmittel durch weniger Umweltauflagen zu produzieren. Hintergrund der am Freitag veröffentlichten Kurzanalyse ist die Debatte um den Plan, künftig vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU nicht mehr aktiv zu bewirtschaften, sondern für ökologische Zwecke einzusetzen. Das können zum Beispiel Brachflächen oder auch Blühstreifen für den Artenschutz sein.

Grünen-Stiftung rät, Brachflächen weiter zu bewirtschaften

Die den Grünen nahestehende Stiftung geht davon aus, dass sich die weltweite Produktionsmenge von Getreide um 0,4 Prozent steigern ließe, wenn man diese Flächen doch weiter bewirtschaften würde. Der Weltmarktpreis könnte um 0,4 bis 2,2 Prozent gesenkt werden. Sie betonte, dass ihre Berechnungen für die Produktionssteigerung eher zu hoch ausfielen, da Begrenzungen wie Arbeitskräfte- oder Wassermangel nicht einbezogen worden seien. Wenn in der EU hingegen wie geplant Flächen nicht mehr genutzt würden, kommt die Stiftung auf eine Steigerung des Weltmarktpreises für Getreide um 0,1 bis 0,6 Prozent.

Die Auswirkungen durch den Krieg selbst könnten den Angaben zufolge im schlimmsten Fall bis zu 20 Prozent Preissteigerung bedeuten, im besten Fall 2,5 Prozent. Hilfreicher als die Flächenstilllegung zurückzudrehen, seien Finanzhilfen für die Länder des globalen Südens, damit sich diese auch teurere Lebensmittel kaufen könnten, so das Fazit der Stiftung.

Angesichts des Krieges im wichtigen Getreideanbauland Ukraine tobt eine Auseinandersetzung über die EU-Agrarpolitik. So spricht sich etwa auch der französische Agrarminister Julien Denormandie für Anpassungen der Umweltregeln aus. Auf diese hatte man sich erst jüngst nach jahrelangem Ringen geeinigt. Der deutsche Ressortchef Cem Özdemir (Grüne) bezeichnete es hingegen als „Holzweg“, eine umweltfreundlichere Lebensmittelproduktion zurückzudrehen. Es wird erwartet, dass die EU-Kommission nächste Woche Vorschläge zu dem Thema vorlegt.

Mehrere EU-Länder wollen europaweiten Preisdeckel für Gasimporte

Im Kampf gegen die rapide gestiegenen Energiekosten werden in Europa Forderungen nach einem EU-weiten Preisdeckel beim Import von Gas laut. Einen solchen maximalen Einkaufspreis habe er seinen EU-Amtskollegen vorgeschlagen, sagte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire am Freitag in Paris. Damit könne man in Verhandlungen mit den drei für die EU wichtigsten gasliefernden Ländern treten: Russland, Norwegen und Algerien.

Noch gebe es aber Widerstand aus manchen EU-Staaten gegen die Idee, sagte Le Maire. „Das wäre ein Eingriff in den Markt, der gewissen europäischen Partnern aufstößt.“

Auch Spanien, Italien, Portugal und Griechenland diskutierten im Vorfeld des Europäischen Rates Ende kommender Woche über die Idee. „Wir haben über die Wichtigkeit einer Abkoppelung des Strom-Marktes vom Gasmarkt geredet und wir haben über die Möglichkeit eines Höchstpreises auf dem Gasmarkt gesprochen“, sagte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi am Freitag in Rom nach dem Treffen mit den Regierungschefs der drei anderen Länder, Pedro Sánchez (Spanien), António Costa (Portugal) und Kyriakos Mitsotakis (Griechenland). Italienischen Medienberichten zufolge liegt die Idee eines Höchstpreises von 100 Euro je Megawattstunde importierten Gases auf dem Verhandlungstisch.

„Die Invasion Russlands in die Ukraine hat auf den Rohstoffmärkten, auf dem Gasmarkt und auf dem Ölmarkt eine Zeit starker Volatilität eingeleitet“, erklärte Draghi weiter. „Wir müssen sofort handeln.“ Einkommensschwache Familien und Unternehmen müssten unterstützt werden. Den Vorschlag für den Mini-Gipfel der vier Länder habe Sánchez gemacht. „Wir müssen konkrete Maßnahmen zum Schutz aller Mitgliedstaaten auf dem Tisch haben“, sagte Draghi. Die vier Länder hätten ähnliche Ideen, aber man müsse auch die anderen Mitgliedstaaten davon überzeugen, forderte der frühere Chef der Europäischen Zentralbank.

Die EU-Kommission hat unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine und der dadurch heftig gestiegenen Gaspreise inzwischen angekündigt, sie werde bis Ende März Maßnahmen vorlegen, um „Ansteckungseffekte“ zwischen den Gas- und Strompreisen zu begrenzen.