Lauterbach plant Änderungen bei Preisregeln für Kindermedikamente
„Wir haben es mit der Ökonomisierung in der Arzneimittelversorgung übertrieben“, sagt der Gesundheitsminister.

Vor allem Familien macht es zu schaffen, wenn manche Arzneimittel wie Fiebersäfte derzeit in der Apotheke nicht zu haben sind. Die Regierung will Knappheiten stärker bekämpfen - mit neuen finanziellen Anreizen.
Bei diesem Medikamenten herrscht derzeit Mangel
In der Berliner Zeitung listet ein Apotheker einer der größten Apotheken Berlins auf, woran es derzeit fehlt: Betroffen sind Fieber- und Schmerzmittel für Kinder in jeder Form: Säfte, die Paracetamol oder Ibuprofen enthalten; außerdem Zäpfchen, Antibiotika-Säfte, aber auch generell für Kinder Antibiotika wie Cotrimoxazol, Sultamicillin, Cephalexin, Penicillin, Amoxicillin und Amoxicillin mit Clavulansäure.
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Auch für Erwachsene werden Erkältungsmittel knapp wie Hustenstiller mit Codein, Schleimlöser mit N-Acetylcystein, Ambroxol, Nasensprays, Halsschmerztabletten wie Dolo Dobendan.
Kritisch ist die Lage bei Herz- und Blutdruck-Präparaten, also Bisoprolol und Candesartan sowie Cholesterinsenker mit Rosuvastatin.
Diabetes-Medikamente wie Ozempic fehlen. Der Mangel wurde ausgelöst durch einen Social-Media-Hype. Dort wird verbreitet, dass man mit diesem Präparat abnehmen kann. Es wird vielfach missbraucht, ohne dass Diabetes vorliegt. Teilweise legen Kunden Rezepte für unterschiedliche Dosierungen gleichzeitig vor, was auf diesen Missbrauch hindeutet.
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Mangel herrscht auch an Magen-Darm-Medikamenten wie Pantoprazol, Butylscopolamin, aber auch an simplen Elektrolyt-Mischungen.
Eine lange Liste. Als Reaktion auf die Lieferengpässe plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Änderungen bei den Preisregeln für Kinderarzneimittel. Damit solle kurzfristig gegengesteuert werden.
Kassen sollen mehr für Kinderarznei ausgeben
Für bestimmte auf Kinder zugeschnittene Arzneimittel soll künftig das bis zu 1,5-Fache des „Festbetrags“ von den gesetzlichen Kassen übernommen werden - also des maximalen Betrags, den sie bisher für ein Präparat an den Hersteller zahlen. Lauterbach sagte, die Kassen würden unmittelbar angewiesen, diese 50 Prozent mehr zu zahlen. Nach Eckpunkten des Ministeriums sollen Experten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Liste mit Präparaten erstellen, die für die Kinderversorgung erforderlich sind. Um Kostendruck zu senken, soll es für sie auch keine Rabattverträge mehr geben dürfen.

Insgesamt soll die Arzneimittel-Versorgung besser abgesichert werden, auch gegen Probleme bei Lieferungen aus Asien und Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern. Den Kassen soll zunächst für Krebsmedikamente und Antibiotika eine „Standortberücksichtigung“ bei Ausschreibungen vorgegeben werden. In einem zusätzlichen Teil – ergänzend zur Vergabe nach dem Preis – sollen sie einen Zuschlag nach dem Kriterium „Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU“ erteilen. Das solle dafür sorgen, dass zuverlässigere europäische Hersteller bevorzugt werden. Für bestimmte Mittel soll auch vorgesehen werden, dass sie über mehrere Monate auf Lager zu halten sind.
Abhängigkeit von Billig-Produzenten in China und Indien
Denn, so heißt es bei Apotheken, sei Deutschland weitestgehend abhängig von der Produktion der Arzneistoffe in China und Indien, wohin die Produktion vielfach aus Kostengründen verlagert wurde. Man könne von einem globalen Monopol dieser Länder sprechen. Dieses System sei jedoch zusammengebrochen, unter anderem wegen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Indien zum Beispiel verhängte zu Beginn der Pandemie ein Exportverbot für viele Arzneistoffe wie Paracetamol.
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„Wir haben es mit der Ökonomisierung auch in der Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten übertrieben. Besonders bei Kinderarzneimitteln spüren wir die Konsequenzen gerade besonders hart. Dass man in Deutschland nur schwer einen Fiebersaft für sein Kind bekommt, der im Ausland noch erhältlich ist, ist inakzeptabel.
Karl Lauterbach, Gesundheitsminister
Lauterbach will nicht nur akut helfen, die Versorgungslage zu verbessern, sondern dafür sorgen, dass früher zu erkennen ist, bei welchen Mitteln sich Engpässe abzeichnen. Das zuständige Bundesinstitut soll dafür zusätzliche Informationen von Herstellern und dem Pharma-Großhandel bekommen, beispielsweise zu aktuellen Produktionsmengen nach Fertigungsstandort und zur Lagerhaltung von Wirkstoffen, Zwischenprodukten und Fertigarzneimitteln. Aktuell gibt es laut Bundesinstitut gut 330 Meldungen zu Lieferengpässen. Das Ministerium weist darauf hin, dass nicht in jedem dieser Fälle auch ein Versorgungsengpass besteht. Es wären Alternativen da.
Auch die Apotheker sollen helfen
Apotheken schließlich sollen sich bei gerade nicht lieferbaren Mitteln um Alternativen für die Kunden kümmern. „Ist ein Medikament nicht vorrätig, dürfen sie künftig ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben oder aus Pillen Säfte machen“, erläuterte Lauterbach. „Müssen sie dafür mit dem Arzt Rücksprache halten, wird das zusätzlich honoriert.“ Laut den Eckpunkten ist eine Pauschale von 50 Cent vorgesehen. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände nannte den Betrag allerdings „eine Frechheit“. Damit werde teils stundenlanger Arbeitsaufwand nicht ansatzweise bezuschusst.
Gerade bei Medikamenten für Kinder gebe es einen hohen Kostendruck, beschreibt der Apotheker die Lage gegenüber der Berliner Zeitung. „Kinder können und wollen bis zu einem gewissen Alter keine Tabletten schlucken, die für den Massenmarkt am schnellsten und einfachsten hergestellt werden können. An dem Preis für Tabletten orientiert sich leider aber unser System, es orientiert sich an Festbeträgen. Es nimmt die billigste Darreichungsform, hieran müssen sich alle übrigen Präparate messen lassen. Dass ein Saft nicht nur eine aufgelöste Tablette ist, sondern viel Know-how rund um Rezeptur und Herstellung erfordert, geht dabei unter.“
Paracetamol sei beispielsweise ein sehr bitter schmeckender Arzneistoff. „Diesen unangenehmen Geschmack zu übertünchen, ist schwierig.“ Oder die vielen Antibiotika-Säfte: „Auch hier sind es nicht nur zermahlene Tabletten, die einfach mit Wasser aufgegossen werden.“
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Krankenkassen meutern, Pharmabranche lobt
Kritik an den Lauterbach-Plänen kommt auch von den gesetzlichen Krankenkassen. Spitzenverbands-Chefin Doris Pfeiffer sprach von einem „beeindruckenden Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen“. Ob Medikamente deshalb verlässlicher gen Europa geliefert oder mehr hier produziert würden, stehe in den Sternen.
Aus Sicht der Pharmabranche hingegen hat das Ministerium endlich erkannt, dass das „Hauptsache-Billig-Prinzip“ die Versorgung destabilisiere. Das gehe an die Wurzel des Problems, erklärte der Verband Pro Generika. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erwartet keine kurzfristigen Wunder von den Plänen. „Sparwut der Kassen“ habe Pflegebedürftige und Schwerkranke längst erreicht, sagte Vorstand Eugen Brysch.