Reichen die neuen Corona-Regeln aus?

Lauterbach: Omikron-Welle ist nicht mehr aufzuhalten – vierte Impfung nötig, auch ein harter Lockdown ist möglich!

Ärzte, Virologen und Bundesländer bezweifeln, dass die beschlossenen Corona-Beschränkungen die Omikron-Variante eindämmen können.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schließt auch einen Lockdown nicht aus. 
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schließt auch einen Lockdown nicht aus. dpa/Moritz Frankenberg

Kontaktbeschränkungen für Geimpfte, Geisterspiele, Tanzverbot: Auf ein paar Maßnahmen gegen die bevorstehende Omikron-Welle konnten sich Bund und Länder verständigen. Es gibt aber Zweifel, ob das reicht. Auch in der Ampel-Koalition selbst.

So verteidigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zwar die Bund-Länder-Beschlüsse zur Eindämmung des Coronavirus, schließt aber härtere Schritte nicht aus. Die für die Zeit nach Weihnachten beschlossenen Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens würden Wirkung erzielen, zeigte sich der SPD-Politiker am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ sicher. „Aber wir schließen nichts aus. Also wenn tatsächlich die Fallzahlen sich so entwickeln würden, dass auch ein harter Lockdown diskutiert werden muss, dann gibt es da keine roten Linien.“

Eine fünfte Corona-Welle durch die Omikron-Variante lasse sich nicht mehr aufhalten, sagte Lauterbach am Mittwoch in Berlin. Die Booster-Strategie könne die Omikron-Welle nicht ganz verhindern, „aber sie ist das wichtigste, was man tun kann, um zu verhindern, dass viele Menschen schwer erkranken“, sagte Lauterbach.

Und nach dem Booster ist für ihn vor der nächsten Impfung: „Ich würde persönlich als Wissenschaftler davon ausgehen, dass eine vierte Impfung nötig sein wird“, so der SPD-Minister. Es könne sein, „dass der Impfschutz nicht allzu dauerhaft ist“.

Um die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante zu bremsen, hatten Bund und Länder weitere Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens beschlossen. Sie sollen aber erst nach Weihnachten gelten. Spätestens ab 28. Dezember soll generell eine Obergrenze von zehn Personen für Privattreffen gelten.

Kanzler Olaf Scholz verständigte sich mit den Ministerpräsidenten der Länder zudem auf die Schließung von Clubs und Diskotheken und leere Ränge bei Fußballspielen und anderen Großveranstaltungen. Am 7. Januar will sich Scholz erneut mit den Länderchefs treffen, um über die Pandemiebekämpfung zu beraten.

Schärfere Kontaktbeschränkungen gefordert

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte kurz vor der Bund-Länder-Runde viel weitreichendere Maßnahmen gefordert, darunter sofortige maximale Kontaktbeschränkungen. Aber nicht nur das RKI bezweifelt, dass die Maßnahmen reichen. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft nannte die beschlossenen Kontaktbeschränkungen „notwendig, möglicherweise aber nicht ausreichend“.

Deshalb müsse die Lage weiterhin täglich beobachtet und analysiert werden, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Gegebenenfalls muss dann kurzfristig nachgesteuert werden.“

Bundesländer unzufrieden mit Corona-Regeln

Mehrere Länder kündigten bereits an, wegen Omikron die Kontaktbeschränkungen schon etwas früher umzusetzen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa greifen sie schon ab Heiligabend. In Baden-Württemberg unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen, also am 27. Dezember, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte.

Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) geht davon aus, dass es schon vor der nächsten Bund-Länder-Runde am 7. Januar weiteren Handlungsbedarf geben wird. „Es ist aus meiner Sicht sehr zu erwarten, dass dieser 7. Januar zu spät ist. Die Dynamik, die wir derzeit erleben, ist sehr groß.“ Auch Hamburg wartet die Weihnachtstage nicht ab und beschloss Kontaktbeschränkungen und Sperrstunden in der Gastronomie schon ab Heiligabend.

Neben den neuen Beschränkungen soll die Impfkampagne weiter vorangetrieben werden – auch während der Weihnachtstage und zwischen den Feiertagen. Bis Ende Januar strebt Kanzler Olaf Scholz weitere 30 Millionen Booster-Impfungen an. Mindestens 32,6 Prozent der Gesamtbevölkerung haben bereits einen sogenannten Booster bekommen. Mindestens 70,4 Prozent sind bisher zweifach geimpft oder haben die Einmal-Impfung von Johnson & Johnson erhalten. Weiter soll der Bundestag im neuen Jahr über eine allgemeine Impfpflicht abstimmen, die nun auch der Ethikrat empfiehlt.

Experten warnen vor „explosionsartiger Verbreitung“ von Omikron

Doch all dies wird die vom Expertenrat der Bundesregierung erwartete „explosionsartige Verbreitung“ von Omikron wohl nicht aufhalten können. Der Saarbrücker Modellierer Thorsten Lehr sagte dem Sender n-tv, abhängig von den Maßnahmen könnten die derzeit leicht sinkenden Inzidenzen Anfang des Jahres auf um 1000 hochschnellen.

„Da sehen wir wirklich eine relativ starke Wand auf uns zukommen.“ Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek geht im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ davon aus, dass sich bereits deutlich mehr Menschen in Deutschland mit der Omikron-Variante infiziert haben, als bisher bestätigt ist.

Etwa alle drei Tage, so Ciesek weiter, verdopple sich die Rate der Infizierten. Aus 100 werden so innerhalb von drei Tagen 200, dann 400, 800 usw. Sie gehe davon aus, dass bereits zu Weihnachten Omikron die Delta-Variante verdrängt und zur dominanten Variante in Deutschland wird. Probleme sieht sie dabei weniger für die Ansteckung von Menschen, die geimpft und geboostert sind.

Die hohe Ansteckungsrate führe jedoch zu Personalausfällen in der sogenannten kritischen Infrastruktur, also Nah- und Fernverkehr, das Gesundheitswesen, Polizei, Feuerwehr, Wasser-, Energie- und Wärmeversorgung. Wie konkret die Befürchtungen sind, zeigt die aktuelle Situation in England: In London, wo die Omikron-Variante besonders rasant um sich greift, sind bereits in etlichen Krankenhäusern und Rettungsdiensten viele Beschäftigte gleichzeitig ausgefallen.