Knallhart-Lockdown: Kommt jetzt die Ausgangssperre für alle?
Länderchefs zu schärferen Kontaktbeschränkungen bereit - Einschränkung des Bewegungsradius sorgt für heftige Diskussionen.

Die Regierungschefs der Länder sind einem Bericht zufolge zu einer Verschärfung der bisherigen Kontaktbeschränkungen bereit. Wegen der viel zu hohen Corona-Infektionszahlen steht Deutschland vor einer Verlängerung des Lockdowns bis Ende Januar und weiteren Verschärfungen zur Reduzierung der Kontakte. In einem am Dienstag vom Bundeskanzleramt an die Länder geschickten Beschlussentwurf zur Bund-Länder-Runde am Nachmittag mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird die Fortsetzung des Lockdowns bis zum 31. Januar vorgeschlagen. Zudem wird die Möglichkeit ins Gespräch gebracht, bei einer hohen Infektionsrate den Bewegungsradius der Menschen deutlich einzuschränken. Die bestehenden Kontaktbeschränkungen sollen massiv verschärft werden.
Dem Wirtschaftsmagazin "Business Insider" zufolge sollen bis Ende Januar ähnliche Kontaktbeschränkungen wie im Frühjahr gelten. Das hieße im Kern: Treffen nur noch mit einer Person eines anderen Haushalts wären dann erlaubt. "Innerhalb der Länder wäre das konsensfähig", zitierte das Magazin einen Teilnehmer der Vorbesprechung. Bislang sind Treffen mit einem anderen Haushalt mit insgesamt fünf Menschen erlaubt, Kinder unter 14 Jahren nicht mitgerechnet.
Dem Bericht zufolge seien die Ministerpräsidenten im Grundsatz ebenfalls dazu bereit, eine Einschränkung des Bewegungsradius mitzutragen. Allerdings seien in der Vorbesprechung dazu auch viele Vorbehalte geäußert: Demnach solle dies nur in Landkreisen ab 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche gelten - und auch nur als eine von verschiedenen Maßnahmen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Bundesländer beraten über eine Verlängerung des Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Sie schalteten sich am Dienstag gegen 14.15 Uhr zu einer Online-Konferenz zusammen, wie Berlin als aktuelles Vorsitzland der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mitteilte. Wegen zusätzlichen Beratungsbedarfs seitens der Länder war der Beginn der Schalte zunächst von 11.00 Uhr auf 13.00 Uhr verlegt worden und hatten sich dann nochmals verzögert.
Wir werden es noch viel schärfer und viel härter angehen müssen“
Bodo Ramelow
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat sich vor dem Treffen der Länderchefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht nur für verlängerte, sondern auch schärfere Corona-Beschränkungen ausgesprochen. „Ich werde heute in der Ministerpräsidentenkonferenz auf der Seite derjenigen argumentieren, die sagen: Wir werden es noch viel schärfer und viel härter angehen müssen“, sagte Ramelow am Dienstag im Deutschlandfunk. „Ich habe lange gedacht, dass wir besser durch die Krise kommen.“ Aber da habe man sich getäuscht, sagte Ramelow, der im Sommer Verfechter eines Lockerungskurses war.
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Er sprach sich außerdem gegen eine Öffnung der Schulen und der Kindergärten aus. Statt über Öffnungen zu debattieren, müssten sich alle besser zurückziehen. So hätte man eine Chance, das Gesundheitswesen zu schützen, sagte der Ministerpräsident.
An diesem Dienstag berät Merkel mit den Regierungschefs der Länder über eine Verlängerung des Mitte Dezember beschlossenen Lockdowns. Seit 16. Dezember sind viele Geschäfte in Deutschland, aber auch Schulen und Kitas dicht.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) rechnet damit, dass der Lockdown bis Ende des Monats fortgesetzt wird. Es gebe zwar eine sehr positive Entwicklung bei den Inzidenz-Zahlen, aber noch gar keine Entlastungen im Klinikbereich, sagte Müller am Montag dem rbb. «Insbesondere aus der Charité kommen weiter die Warnmeldungen. Insofern muss man das weiterhin sehr ernst nehmen. Also bis zum Ende des Monats sehe ich weiter die Beschränkung», so der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz.
Bewegungsradius 15 Kilometer um die eigene Wohnung
Eine lebhafte Debatte zeichnet sich um die in den Bundesländern unterschiedlich geregelten Ausgangsbeschränkungen ab. Die härtesten Regeln gelten in Sachsen: Dort darf die Wohnung nur aus triftigem Grund verlassen werden. Zudem gilt für Sport oder Einkaufen ein 15-Kilometer-Radius um das eigene Wohnumfeld. In Brandenburg gelten strenge nächtliche Ausgangsverbote: nächtliches Joggen und Spazierengehen ist dort untersagt. Ausgangssperren sind außerdem in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen in Kraft. Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) will Ausgangsbeschränkungen in der Hauptstadt hingegen wieder abschaffen: Sie sei überflüssig und juristisch zweifelhaft.
Lindner lehnt starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit ab
FDP-Chef Christian Lindner lehnt im Kampf gegen die Corona-Pandemie die diskutierte Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen engen Radius rund um den Wohnort als unverhältnismäßig ab. «Wir halten das bei einer 100er Inzidenz für einen absolut überzogenen Eingriff in die Freiheit der Menschen, der sich nicht begründet aus einer Begrenzung des Pandemie-Geschehens», sagte er am Dienstag in Berlin. Lindner wies darauf hin, dass alle Möglichkeiten, sich im öffentlichen Raum zu begegnen, bereits stark eingeschränkt seien.
Der FDP-Chef machte allerdings eine Ausnahme: «Eine solche Maßnahme käme dann in Betracht, wenn wir es mit einer Hotspot-Situation zu tun haben (...) mit einer sehr hohen dreistelligen Inzidenz.» Bei niedrigeren Infektionszahlen gelte: «Da sind die Kosten hinsichtlich der Grundrechtseinschränkung in keinem Verhältnis zu dem erwarteten Nutzen.» Wollte man die Maßnahmen gegen die Pandemie wegen der hohen Infektionszahlen weiter verschärfen, wäre eine weitere Reduktion der Zahl der zulässigen Kontakte «nachdenkenswert».
Schwesig: Kontaktbeschränkungen weiter verschärfen
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hält eine Verlängerung der Maßnahmen für sinnvoll. Die Einschränkungen seien zwar massiv, „die Zahlen zeigen aber auch, dass es keine Entwarnung gibt und dass wir den Shutdown fortsetzen müssen“, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“. Auch angesichts der Virusmutation in Großbritannien zeigte sich Schwesig besorgt. Sollte die Mutation auch Deutschland erreichen, dann „müssen wir darüber sprechen, ob Kontaktbeschränkung weiter verschärft werden müssen“.