Ausfall von Russland-Gas bedeutet Rezession

„Es brennt lichterloh!“ - Industrie wegen Krieg und Corona alarmiert

Bundesverband der Deutschen Industrie stutzt Wachstumserwartung um mehr als die Hälfte, und es könne schlimmer kommen.

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Geht der deutschen Wirtschaft die Luft aus? Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist jedenfalls in Alarmstimmung.
Geht der deutschen Wirtschaft die Luft aus? Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist jedenfalls in Alarmstimmung.AP/Martin Meissner

Die deutsche Industrie mit über sieben Millionen Beschäftigten hat ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr drastisch nach unten geschraubt. Erwartet wird nur noch ein Wachstum der Wirtschaftsleistung in Deutschland von rund 1,5 Prozent, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie am Dienstag in Berlin zum Tag der Industrie mitteilte. Zu Jahresbeginn war die Industrie vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine noch von einem Plus um etwa 3,5 Prozent für 2022 ausgegangen.

„Der Industrie macht die doppelte Krise aus der russischen Invasion in die Ukraine und den Auswirkungen der Covid-Pandemie zu schaffen“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. „Massive Abhängigkeiten als Preis für Kostenvorteile und Skaleneffekte zu akzeptieren, das war aus heutiger Sicht genauso falsch wie der Verzicht unseres Landes auf eigene hinreichende Investitionen in seine Verteidigungsfähigkeit“, so Russwurm. „Wir haben uns die Feuerwehr gespart, weil wir das Brandrisiko für vernachlässigbar gehalten haben. Jetzt brennt es lichterloh.“

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: „Es brennt lichterloh!“
Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: „Es brennt lichterloh!“dpa/Britta Pedersen

Deutschland ist immer noch abhängig von russischem Gas und anderen Rohstoffen. Russland hatte seine Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream gedrosselt. Russwurm sagte, der Krieg habe die „Achillesferse“ des Industrielandes Deutschland aufgedeckt: die Versorgungssicherheit für Energie, Rohstoffe und Basistechnologien.

Kein Gas mehr aus Russland? „Katastrophale Auswirkungen!“

Russwurm erwartet eine Erholung der Wirtschaft im Sinne einer Rückkehr zum Niveau vor der Corona-Pandemie frühestens zum Jahresende. Voraussetzung aber sei, dass russisches Gas weiterhin Westeuropa erreiche. „Eine Unterbrechung hätte katastrophale Auswirkungen auf die produzierende Industrie und würde unsere Wirtschaft unweigerlich in die Rezession schicken.“

Zwar sei der Auftragsbestand bei den Unternehmen auf Rekordhoch. Aufgrund von Lieferengpässen sei die Produktion aber zum Teil erheblich beeinträchtigt. Unsichere Konjunkturaussichten und gestiegene Unsicherheiten durch den Krieg bremsten außerdem die Investitionstätigkeit der Firmen. Auch die Aussichten für den Export korrigierte der BDI nach unten. Gerechnet wird nun 2022 mit einem Wachstum um 2,5 Prozent, im Januar hatte der Verband noch ein Plus von 4,5 Prozent vorhergesagt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte auf der Veranstaltung vor einer „dauerhaften Inflationsspirale“ in Deutschland und verwies auf die für den 4. Juli vorgesehene „konzertierte Aktion“ mit Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Schwierige Probleme ließen sich im Miteinander besser lösen als im Gegeneinander.

Olaf Scholz holt eine Idee von 1967 hervor: Die „konzertierte Aktion“

Der Begriff der „konzertierten Aktion“ ist aus Zeiten der ersten Großen Koalition bekannt. Angesichts der ersten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik rief der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) 1967 Vertreter von Regierung, Bundesbank, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften an einen Tisch.

Prämien für Gas-Sparer?

Der BDI-Präsident Russwurm sprach sich gegen mögliche gesetzliche Verpflichtungen für private Haushalte aus, um den Gasverbrauch zu verringern. Er sagte, er fände vorgeschlagene Prämien für Verbraucher sinnvoll, um Gas einzusparen.

Angesichts von Forderungen etwa aus der Union über längere Laufzeiten der drei noch verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland über das Jahresende hinaus zeigte sich Russwurm skeptisch. Die Betreiber selbst hätten dem widersprochen. Dagegen sei es schwierig, andere Länder zu bitten, ihre Gasförderung zu erhöhen, in Deutschland dies aber selber auszuschließen. Dies sei eine schwierige Argumentation.

Aus der FDP kam der Vorstoß, das Verbot der Erdgasförderung in Deutschland durch das sogenannte Fracking auf den Prüfstand zu stellen. Dabei wird Gas oder Öl mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus Gesteinsschichten herausgeholt, was Gefahren für die Umwelt birgt.