Forscher vergleichen den Wahlkampf mit „Squid Game“! In Korea ist nicht nur Nord-Diktator Kim völlig gaga
Die Auseinandersetzung um das Präsidentenamt erinnert Forscher an „Squid Game“

Da ist ja was los im Land der Morgenstille: „Bestie“, „Parasit“, „Hitler“ – so und ähnlich haben die beiden Männer, die Südkorea künftig regieren wollen, sich gegenseitig bezeichnet. Einige Beobachter sprechen schon von einer „Squid Game“-Wahl, in Anspielung auf die erfolgreiche südkoreanische Netflix-Serie, bei der die Verlierer von Spielen getötet werden. Tatsächlich wird spekuliert, ob der unterlegene Kandidat der Präsidentschaftswahl am morgigen Mittwoch zumindest verhaftet werden könnte.

Umfragen zufolge wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Lee Jae-Myung von der liberalen Regierungspartei und dem Konservativen Yoon Suk-Yeol. Und unabhängig vom Ausgang dürften dem Land schwierige Zeiten bevorstehen. Denn die offenen Feindseligkeiten im Wahlkampf haben die Spaltung der Gesellschaft verschärft, in einer Zeit, in der Zusammenhalt wichtiger wäre denn je: Die Wirtschaft leidet unter den Folgen der Pandemie, Nordkorea testet weiter Raketen. Zugleich gerät Südkorea im Handelsstreit zwischen China und den USA immer mehr zwischen die Stühle.
Was aus den Umfragen darüber hinaus hervorgeht: Beide Kandidaten haben mehr Kritiker als Unterstützer. „Stehen wir nicht vor einer sehr düsteren nationalen Zukunft, mit einer unschönen und bitteren Präsidentschaftswahl, bei der es darum geht, das kleinere von zwei Übeln auszuwählen?“, hieß es angesichts dessen kürzlich in einem Leitartikel der Zeitung „Dong-A Ilbo“, die zu den am meisten gelesenen des Landes zählt.
Du bist korrupt – nein, du – nein, du ...
Yoon hat Lee wegen möglicher Verbindungen zu einem mutmaßlichen Korruptionsskandal im Zusammenhang mit einem Landerschließungsprojekt angegriffen. Lee hat die Vorwürfe bestritten und im Gegenzug versucht, Yoon mit ebendiesem Skandal in Verbindung zu bringen. Auch die Ehefrauen der Kandidaten wurden von den gegnerischen Wahlkampfteams ins Visier genommen. Beide wurden genötigt, sich wegen Fehlverhaltens in verschiedenen Fällen zu entschuldigen.
Der Konservative verwendete in der Beschreibung der liberalen Partei die Namen „Hitler“ und „Mussolini“, einer seiner Mitarbeiter bezeichnete Helfer von Lee als „Parasiten“. Der Liberale wiederum beschrieb Yoon als „Bestie“, als „Diktator“ und als „leere Büchse“ – und spottete über eine angebliche Schönheitsoperation von Yoons Frau. Von beiden Lagern sind Dutzende Klagen erhoben worden, unter anderem wegen Verleumdung und Verbreitung von Falschinformationen.
„Die diesjährige Präsidentschaftswahl war mehr als jede Wahl zuvor von Negativ-Kampagnen überhäuft. Und der gegenseitige Hass wird nach der Abstimmung nicht so einfach verschwinden“, sagt Choi Jin von dem in der Hauptstadt Seoul ansässigen Institute of Presidential Leadership. Zu den Verwerfungslinien in der Wählerschaft zählen regionale Rivalitäten und Generationskonflikte ebenso wie Fragen der ökonomischen Ungleichheit und Frauenrechte.
Yoon ist der Beliebtere bei älteren Südkoreanern und bei Bewohnern der südöstlichen Region Gyeongsang, aus der frühere konservative und autoritäre Spitzenpolitiker stammen. Viele seiner Anhänger befürworten eine enge militärische Kooperation mit den USA und einen harten Kurs gegenüber Nordkorea. Den autoritären Herrschern in der Zeit nach dem Koreakrieg wird in diesen Kreisen angerechnet, das Land wirtschaftlich entwickelt zu haben.
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Lee ist tendenziell bei jüngeren Wählern sowie in der südwestlichen Region Jeolla beliebter. Seine liberale Partei setzt auf Annäherung an den Norden und sieht die Menschenrechtsverletzungen der früheren autoritären Regierungen des Südens äußerst kritisch. Eine bemerkenswerte Entwicklung in den vergangenen Wochen war allerdings, dass in vielen Umfragen Yoon gerade bei den Wählern im Alter zwischen 18 und 29 Jahren besser abschnitt als Lee.
Diese jungen Wähler wurden überwiegend erst geboren, als Südkorea bereits ein Industrieland war. „Sie haben weder Armut noch Diktaturen erlebt“, sagt Park Sung-Min, Leiter der auf politische Beratung spezialisierten Firma MIN Consulting. „Sie stehen China und Nordkorea sehr kritisch gegenüber und haben eher freundschaftliche Gefühle gegenüber den USA und Japan.“
Ex-Präsidenten in großen Nöten
Wie tief die Gräben in der südkoreanischen Politik sind, zeigt sich auch am Umgang mit früheren Staatschefs. Der liberale Ex-Präsident Roh Moo-Hyun stürzte sich 2009, ein Jahr nach Ende seiner Regierungszeit, inmitten von Korruptionsermittlungen gegen seine Familie zu Tode. Gegen seine konservativen Nachfolger Lee Myung-Bak und Park Geun-Hye wurde ebenfalls wegen Korruption und anderer Vergehen ermittelt, nachdem 2017 der liberale Amtsinhaber Moon Jae-In an die Macht gekommen war. Park wurde im Dezember begnadigt, Lee verbüßt eine 17-jährige Haftstrafe.
Die aktuelle Regierung wurde von einem Skandal um mutmaßliche Finanzdelikte von Moons engem Vertrauten und ehemaligem Justizminister Cho Kuk erschüttert. Bis dahin hatte Cho als potenzieller liberaler Nachfolger im Amt des Präsidenten gegolten. Dass Moon ihn zunächst in Schutz nahm, sorgte für viel Kritik.
Ein Kandidat wechselte die Seiten
Yoon hatte ursprünglich als Moons Generalstaatsanwalt gedient und als solcher auch Ermittlungen gegen frühere konservative Regierungen geleitet. Im vergangenen Jahr wechselte er dann aber in die Opposition, nachdem der Konflikt mit Unterstützern von Moon über den Fall Cho ihn selbst zu einem aussichtsreichen Kandidaten gemacht hatte.
In einer TV-Debatte beteuerten Yoon und Lee zuletzt zwar beide, im Falle eines Wahlsiegs keine politisch motivierten Ermittlungen gegen den anderen einzuleiten. Im Februar hatte Yoon in einem Zeitungsinterview aber gesagt, er werde juristische Schritte sowohl gegen die Moon-Regierung als auch gegen Lee prüfen. Umgekehrt hatte Lee während der jüngsten Verfahren gegen konservative Politiker gesagt, diese seien notwendig, um „tief verwurzelte Übel und Ungerechtigkeit“ zu tilgen.
Es sei wichtig, dass der neue Präsident Zurückhaltung übe und sich Forderungen von Hardlinern nach politischer Rache widersetze, sagt Cho Jinman, Professor an der Duksung Women’s University in Seoul. „Aktuell haben wir einen Wahlkampf, der an ‚Squid Game‘ erinnert. Der neue Präsident wird die Verantwortung dafür haben, uns da herauszuholen.“