Häftlinge an der Ukraine-Front: So verzweifelt sucht Russland nach Soldaten!
Regierung von Wladimir Putin muss tief in die Trickkiste greifen, um neue Kämpfer anzuwerben.

Seit Beginn der Invasion in der Ukraine wurden Tausende russische Soldaten getötet, etliche weitere verweigern inzwischen den Kampfeinsatz. Um neue Kämpfer anzuwerben, greift Moskau zu unkonventionellen Maßnahmen. So setzt die russische Regierung wegen der wachsenden Verluste an der Front immer stärker auf verdeckte Rekrutierungsmaßnahmen etwa in Gefängnissen. Uniformierte bieten den Insassen in Straflagern Amnestie an – falls sie sich bereit erklären, an der Seite der russischen Streitkräfte in der Ukraine zu kämpfen.
Hunderte Soldaten verweigern Kampfeinsatz
Denn eine umfassende Mobilmachung im Land zum Ausgleich will der Kreml tunlichst vermeiden, um den Zuspruch für Präsident Wladimir Putin nicht zu gefährden. Berichten zufolge verschärft sich der Mangel an Einsatzkräften aber auch dadurch, dass Hunderte russische Soldaten den Kampfeinsatz verweigern und ihren Dienst quittieren wollen.
Sowohl Altgediente als auch Neuzugänge wollten in großer Zahl das Kriegsgebiet verlassen, sagt der Anwalt Alexej Tabalow, Leiter der Rechtsberatung an der Schule für Wehrkunde: „Ich habe den Eindruck, dass jeder, der kann, bereit ist wegzulaufen.“ Zugleich unternehme das Verteidigungsministerium große Anstrengungen, Männer vom Wehrdienst zu überzeugen.
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So werden in verschiedenen Regionen junge Männer auf Plakaten und mit Aushängen in öffentlichen Verkehrsmitteln aufgerufen, sich der Berufsarmee anzuschließen. In mehreren Städten richteten die Behörden mobile Rekrutierungszentren ein, unter anderem am Veranstaltungsort eines Halbmarathons in Sibirien im Mai.
Regionalverwaltungen bilden „Freiwilligen-Bataillone“, die im Staatsfernsehen beworben werden. Die Wirtschaftszeitung Kommersant zählte mindestens 40 solcher Einheiten in 20 Regionen. Die Behörden versprechen Rekruten einen monatlichen Sold zwischen umgerechnet rund 2100 und fast 5400 Euro plus Boni. In Jobportalen werden Tausende Stellen für Militärexperten angeboten.
Freiwillige werden mit „Cash-Boni“ gelockt
Nach Angaben der britischen Streitkräfte hat Russland aus „Freiwilligen-Bataillonen“ eine neue große Bodeneinheit mit der Bezeichnung 3. Armeekorps gebildet. Dafür würden Männer im Alter bis 50 gesucht, die lediglich über einen mittleren Schulabschluss verfügen müssten und denen „lukrative Cash-Boni“ geboten würden, sobald sie in der Ukraine stationiert seien. Tabalow erklärte, er erhalte seit August Anfragen nach Rechtsbeistand von Reservisten, die zu einem zweimonatigen Training in der Nähe der ukrainischen Grenze einberufen worden seien.
Die Rekrutierung von Gefangenen läuft seit einigen Wochen in bis zu sieben Regionen, wie Wladimir Osetschkin sagt, Gründer der Organisation Gulagu.net, die sich für die Rechte von Häftlingen einsetzt. Er beruft sich auf Insassen und deren Angehörige, die seine Gruppe kontaktierte. Aktuell sei es nicht das russische Verteidigungsministerium, das Gefangene rekrutiere, sondern die private paramilitärische Wagner-Gruppe, sagt Osetschkin.
1500 Freiwillige rekrutiert
Zunächst sei lediglich Häftlingen mit Militär- oder Polizeierfahrung ein Einsatz in der Ukraine angeboten worden. Dies sei später jedoch auf Insassen mit anderem Hintergrund erweitert worden, erklärt der Experte. Seiner Schätzung nach könnten sich bis Ende Juli etwa 1500 Männer beworben haben. Viele dieser Freiwilligen hätten ihn inzwischen kontaktiert, weil sie aus den Verträgen wieder aussteigen wollten.
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Nach Ansicht des Militäranalysten Michael Kofmann muss sich die russische Regierung weiter darauf einstellen, dass Soldaten den Kampf verweigern. Laut unabhängigen russischen Medien und Menschenrechtsgruppen lag die Zahl der Soldaten, die sich weigern, in der Ukraine zu kämpfen, bereits im Juli bei mehreren Hundert. Wer seinen Vertrag beenden wolle, müsse allerdings mit Folgen rechnen – bis hin zur Festnahme.