Grüne, FDP und Linke wollen den Kirchen den Geldhahn zudrehen
Seit 200 Jahren erhalten die beiden großen Kirchen in Deutschland Entschädigungen für Enteignungen zur Zeit Napoleons. Damit soll nun Schluss sein.

Berlin - Jahr für Jahr fließen mehr als 500 Millionen Euro an Steuergeldern – zusätzlich zur Kirchensteuer – an die beiden großen Kirchen in Deutschland. Dabei handelt es sich um Entschädigungen für die Enteignung von Kirchenbesitz durch deutsche Landesherren zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach Ansicht von Grünen, Linken und FDP muss damit nun nach mehr als 200 Jahren Schluss sein. Sie legten einen Gesetzesentwurf vor, der die Ablösung dieser Staatsleistungen regelt.
„Das ist seit 101 Jahren Auftrag unserer Verfassung“, begründet Benjamin Strasser, religionspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, den gemeinsamen Vorstoß. Aufgabe des Bundes sei es, den Rahmen für die Ablösung in Form eines Grundsätzegesetzes zu schaffen. Schon 1919 forderte Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung den Gesetzgeber auf, die Zahlungen an die Kirchen abzulösen. Nach Gründung der Bundesrepublik wurde er ins Grundgesetz übernommen. Passiert ist bisher nichts. „Wenn jetzt nichts getan wird, bedeutet das weitere Ignoranz gegenüber diesem Auftrag und kostet weiter Geld“, sagt Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Das sei niemandem vermittelbar. „Wir freuen uns, dass es gelungen ist, zu einer gemeinsamen Position zu kommen, die die finanzielle Trennung von Kirche und Staat auf den Weg bringt.“
Opposition gesteht Kirchen noch zehn Milliarden Euro zu
Auch Konstantin von Notz, Beauftragter für Religion und Weltanschauungen der Grünen, lobt den Gesetzentwurf. „Er ist eine gute Grundlage, verfassungskonform im Sinne aller Beteiligten aus den Verpflichtungen herauszukommen.“ Man habe von Anfang an eine fraktionsübergreifende Initiative angestrebt. „Die große Koalition war zwar sehr zurückhaltend, hat unsere Initiative aber mit Wohlwollen begleitet.“ Auch mit Kirchenvertretern habe man im Vorfeld Gespräche geführt.
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Grüne, Linke und FDP schlagen in ihrem Gesetzentwurf vor, die Verpflichtungen mit dem 18,6-Fachen der Staatsleistungen von 2020 abzulösen. Das entspräche einer Restentschädigung von rund zehn Milliarden Euro. Zahlen müssten das die Länder. Sie sollen fünf Jahre Zeit für die Verhandlungen mit den Kirchen bekommen. Anschießend sollen sie ihre Verpflichtungen innerhalb von 20 Jahren erfüllen. „Wie sie das tun, steht ihnen frei. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Einmal- oder Ratenzahlung oder das Abtreten von Immobilien“, erklärt Strasser und betont die Unterschiede in den Ländern. So machten die Staatsleistungen in einigen Regionen Ostdeutschlands rund 20 Prozent des Kirchenhaushalts aus, während dieser Wert in Nordrhein-Westfalen bei lediglich einem Prozent liege.
Die GroKo fordert einen Dialog mit Bundesländern und Kirchen
Die Regierungsfraktionen begrüßen den Vorstoß zwar grundsätzlich, sehen jedoch Schwächen. „Ich nehme mit großer Zustimmung zur Kenntnis, dass sich der Oppositionsantrag zum Wertersatz und damit zum Äquivalenzprinzip bekennt“, sagt Hermann Gröhe, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU im Bundestag, der Berliner Zeitung.
„Wir brauchen aber auch die Diskussion mit den beiden Kirchen und vor allem mit den Bundesländern.“ Schließlich seien es die Länder, die am Ende zahlen müssten und deren Finanzen derzeit aufgrund der Pandemie einem Stresstest unterzogen würden. Die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes noch vor der Bundestagswahl hält er daher für unrealistisch.
Dieser Forderung schließt sich die SPD im Bundestag an. „Die Sicht der Länder ist in dem Gesetzesentwurf von FDP, Linken und Grünen nicht berücksichtigt. Ich schlage daher zunächst eine Kommission vor, die alle an einen Tisch holt und unter Beteiligung der Bundesländer eine Lösung erarbeitet“, sagt Lars Castelucci, religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, der Berliner Zeitung. Nur so könne ein breiter Konsens erzielt werden.
Die Kirchen wollen mehr Mitsprache
Auch die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) plädiert für einen umfassenden Dialog, da Kirchen und Länder die Vorgaben des Bundes am Ende umsetzen müssten. „Ihre Einbeziehung stellt sicher, dass bestehende staatskirchenrechtliche Vereinbarungen zwischen Bundesländern und Kirchen sowie regionale Unterschiede bei der Erstellung des Grundsätzegesetzes Berücksichtigung finden“, sagt eine Sprecherin der EKD der Berliner Zeitung. Das betreffe auch die Anwendung eines Berechnungsfaktors.
Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, sieht im vorliegenden Gesetzentwurf hilfreiche Anknüpfungspunkte für weitere Erörterungen. „Hierzu sollten unseres Erachtens unbedingt Vertreter der Bundesländer und der Kirchen hinzugezogen werden, weil sie später die Vorgaben eines Grundsätzegesetzes umsetzen müssen“, sagt er der Berliner Zeitung. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Diskussion über den Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung von Staatsleistungen aufgrund der Corona-Pandemie in „eine schwierige Zeit“ falle.