Generalleutnant Bernd Schütt neben Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Besuch des Einsatzführungskommandos im März 2022.
Generalleutnant Bernd Schütt neben Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Besuch des Einsatzführungskommandos im März 2022. dpa/Michael Kappeler

Bernd Schütt, neuer Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, sieht die größte Gefahr für eine militärische Eskalation mit Russland an der Nordostflanke der Nato. „Und deswegen ist der Punkt der glaubwürdigen Abschreckung in dieser Region für mich ein ganz zentraler Punkt. Hier spielt die Präsenz von Landstreitkräften eine zentrale Rolle“, sagte der Generalleutnant der dpa.

Verstärkte Übungen für die Landes- und Bündnisverteidigung werde es auch in seinem Kommando geben. Schütt: „Diese Art von intensiver Kriegsführung haben wir hier so noch nicht trainiert. Da bedarf es einer Anpassung bestehender Strukturen und Verfahren.“

Das Einsatzführungskommando in Schwielowsee bei Potsdam führt die Kontingente der Bundeswehr im Auslandseinsatz in nationalen Belangen (Material, Personal und im Disziplinarwesen), nicht aber operativ.

Bei Einsätzen wie in Litauen – wo die Bundeswehr einen inzwischen 1600 Mann starken multinationalen Gefechtsverband der Nato („Enhanced Forward Presence“, eFP) führt – sind die deutschen Soldaten  auch in die Verteidigungsplanungen des jeweiligen Landes eingebunden. In Litauen stehen sie zusammen mit Belgiern, Isländern, Luxemburgern, Niederländern, Norwegern und Tschechen.

Befürchtungen vor Angriff auf baltische Nato-Staaten

Nach konkreter gewordenen russischen Drohgebärden im Streit um den Transitverkehr in die russische Ostsee-Exklave Kaliningrad sind Befürchtungen im Baltikum zuletzt gewachsen.

Als geografischer Schwachpunkt gilt die sogenannte Suwalki-Lücke, eine kaum 70 Kilometer schmale Landverbindung zwischen Polen im Süden und Litauen im Norden. Hier ist der Weg von Kaliningrad und dem mit Russland verbündeten Belarus am kürzesten. Bei einem russischen Durchbruch wären die kleinen Nato-Staaten Litauen, Lettland und Estland vom Rest des Bündnisgebiets abgeschnitten.

Die Lücke, die der Nato Sorgen bereitet

„Im Bereich der Suwalki-Lücke ist es nur ein kurzer Sprung und dort ist die Gefahr einer Testung des Verteidigungswillens und der Verteidigungsfähigkeit der Nato relativ groß. In diesem Raum kann man relativ schnell Truppen verlegen und dann zum Beispiel unter Einsatz von Luftlandetruppen einen ersten Stoß durchführen“, sagte Schütt. In  der Gedankenwelt des russischen Präsidenten Wladimir Putin möglicherweise in der Hoffnung, es gebe keine Gegenwehr: „Vielleicht denkt er, die Nato kommt nicht.“

Die sogenannte Nordostflanke der Nato: Die rote Doppel-Linie zeigt die Suwalki-Lücke entlang der polnisch-litauischen Grenze.
Die sogenannte Nordostflanke der Nato: Die rote Doppel-Linie zeigt die Suwalki-Lücke entlang der polnisch-litauischen Grenze. Grafik: dpa. Quellen: Nato, dpa, OSM-Mitwirkende

Deswegen sei es so wichtig, dass die Nato-Truppen im Baltikum präsent sind und verstärkt würden. „Das ist mehr als ein Stolperdraht. Da wird sich Putin sehr gut überlegen müssen, wie die Reaktion ausfällt“, sagte Schütt. Zentral sei die glaubwürdige Abschreckung. Glaubwürdigkeit beruhe auf einem ausführbaren Plan, der mit entsprechenden Kräften und Fähigkeiten hinterlegt ist, der Deklaration, diese Kräfte einzusetzen, und dabei nicht zu wackeln.

Keine Angriffs-Vorbereitung auf Nato-Territorium erkennbar

Dies habe bereits dazu beigetragen, dass keine Angriffsvorbereitung auf das Territorium der Nato zu erkennen seien. „Eine Mär hat sich endgültig erledigt: dass es ohne Vorbereitung geht. Ganz ohne Vorbereitung geht das auch bei den Russen nicht“, sagte Schütt. Es gebe eine Vorwarnzeit, aber nicht die Vorbereitungszeit, um dann Kräfte erst zu auszubilden und zusammenzuführen.

Die Bundeswehr war nach dem Ende des Kalten Krieges darauf getrimmt worden, Fähigkeiten und Kontingente für die Auslandseinsätze wie in Mali, Afghanistan oder dem Kosovo bereitzustellen – mit auf die Aufgabe beschränkten Fähigkeiten. Nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 wurde umgesteuert und Bündnisverteidigung wieder in das Aufgabenfeld übernommen. Sie umfasst unter anderem die Fähigkeit, Verbände schnell zur Unterstützung von Nato-Partnern verlegen zu können.

Bundeswehr führt Nato-Gefechtsverband in Litauen

2017 wurde der eFP-Gefechtsverband in Litauen aufgebaut. „Das, was auf uns zukommen könnte, hat natürlich noch eine ganz andere Dimension. Wir haben dann andere Räume, andere Abstimmungserfordernisse und das müssen wir üben“, sagte Schütt. „Das Einsatzführungskommando ist in Einsatzgruppen unterteilt, die unter anderem von Mali bis hin zu den maritimen Einsätze strukturiert wurden. Jetzt steht mit der Landes- und Bündnisverteidigung ein riesiger zusätzlicher Elefant im Raum, der Anpassungen erforderlich macht, um beides bewältigen zu können.“