Ein russischer Arbeiter raucht unmittelbar an der Gas-Pipeline Nord Stream 1 an der Stelle, die angeblich undicht sein soll.
Ein russischer Arbeiter raucht unmittelbar an der Gas-Pipeline Nord Stream 1 an der Stelle, die angeblich undicht sein soll. dpa

Um Gründe, warum nur sehr wenig oder gar kein Gas an europäische Abnehmer geliefert wird, ist Russland nie verlegen: Mal soll es eine defekte Turbine gewesen sein, nun will man ein Leck entdeckt haben -  zusammen mit dem technischen Dienstleister Siemens Energy. Die Konsequenz: Nach drei Tagen Gasstopp nimmt Russland die Lieferung über Nord Stream 1 nicht wieder auf, verbrennt das Gas lieber in einer riesigen Fackel nahe der Pipeline.

Durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 wird von diesem Sonnabend an anders als angekündigt weiter kein Gas fließen. Das teilte der Staatskonzern Gazprom am Freitagabend bei Telegram mit. Grund sei ein Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja. Bis zur Beseitigung bleibe der Gasdurchfluss gestoppt. Es war zunächst damit gerechnet worden, dass nach Abschluss der angekündigten dreitägigen Wartungsarbeiten ab Samstagmorgen wieder Gas durch die Leitung fließt.

Andererseits zweifeln Insider daran, dass Wartungsarbeiten überhaupt einen Lieferstopp begründen. Vielmehr wird angenommen, dass Russland die Abhängigkeit von Gaslieferungen als politische Waffe nutzt, um seine vermeintliche Macht zu demonstrieren.

Siemens Energy: Solche Leckagen könnten vor Ort abgedichtet werden

Siemens Energy teilte auf Anfrage mit, dass man die jüngsten Meldungen zur Kenntnis genommen habe. „Als Hersteller der Turbinen können wir lediglich feststellen, dass ein derartiger Befund keinen technischen Grund für eine Einstellung des Betriebs darstellt.“ Solche Leckagen beeinträchtigten im Normalfall den Betrieb einer Turbine nicht und könnten vor Ort abgedichtet werden - das sei ein Routinevorgang im Rahmen von Wartungsarbeiten.

Auch in der Vergangenheit sei es durch das Auftreten dieser Art von Leckagen nicht zu einem Stillstand des Betriebs gekommen. Siemens Energy sei aktuell nicht mit Wartungsarbeiten beauftragt, stehe aber bereit, hieß es weiter. In der Verdichterstation Portowaja stünden außerdem genug weitere Turbinen für einen Betrieb von Nord Stream 1 bereit.

Russischer Gasstopp: Darauf hatte sich Deutschland seit Monaten vorbereitet

Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte am Freitagabend, die Meldungen von Gazprom habe man zur Kenntnis genommen. „Wir kommentieren diese in der Sache nicht, aber die Unzuverlässigkeit Russlands haben wir in den vergangenen Wochen bereits gesehen und entsprechend haben wir unsere Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit von russischen Energieimporten unbeirrt und konsequent fortgesetzt. Dadurch sind wir jetzt wesentlich besser gerüstet als noch vor einigen Monaten.“ Die Lage auf dem Gasmarkt sei angespannt, die Versorgungssicherheit aber gewährleistet, sagte die Sprecherin.

Niemand ist wirklich überrascht

Das Achselzucken, mit dem die Nachricht aus Moskau im Westen aufgenommen wird, zeigt: Niemand ist überrascht, so gut wie kein Mensch hält Russland noch für einen zuverlässigen Gaslieferanten. Auf den Lieferstopp hatte sich Deutschland seit Monaten vorbereitet, die Gasspeicher mit Lieferungen aus anderen Ländern schneller befüllt als geplant.

Die dafür zuständige Bundesnetzagentur betont die Bedeutung dieser deutschen Vorsorgemaßnahmen: „Angesichts der russischen Entscheidung, vorerst kein Gas über Nord Stream 1 fließen zu lassen, gewinnen die LNG Terminals, die relevanten Speicherstände und signifikante Einsparnotwendigkeiten an Bedeutung“, twitterte Behördenpräsident Klaus Müller am Freitag. „Gut, dass Deutschland inzwischen besser vorbereitet ist, jetzt kommt es aber auf jede/n an“, so Müller weiter.

Das weitaus meiste Erdgas erhält Deutschland inzwischen aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. So flossen am Donnerstag nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 2900 Gigawattstunden Erdgas aus diesen Ländern nach Deutschland. Zum Vergleich: Am Montag, dem letzten Tag vor der angekündigen Lieferreduktion, transportierte Nord Stream 1 rund 348 Gigawattstunden russisches Erdgas. Die eingespeicherte Menge betrug zuletzt immer ein Mehrfaches dieser Liefermenge aus Russland. So wurden etwa am Dienstag 965 Gigawattstunden Erdgas in Deutschland eingespeichert.

Gazprom zufolge soll das angebliche Leck bei den gemeinsam mit Experten von Siemens Energy erledigten Wartungsarbeiten an der Station festgestellt worden sein. Das ausgetretene Öl sei an mehreren Stellen gefunden worden. Es sei nicht möglich, den sicheren Betrieb der letzten dort noch verbliebenen Gasturbine zu garantieren, behauptet Gazprom weiter. Schon in der Vergangenheit sei es zu solchen Ölaustritten gekommen, hieß es.

Gazprom schickt Beschwerde-Brief an Siemens Energy-Chef

Ein Brief über die Beanstandungen am Aggregat Trent 60 mit der Nummer 24 und über die notwendigen Reparaturen sei an den Chef von Siemens Energy, Christian Bruch, gegangen, teilte der russische Konzern weiter mit.

Zuvor waren erste Gaslieferungen für Samstagmorgen angekündigt worden. Das ging aus vorläufigen Daten der Website der Nord Stream AG hervor. Demnach waren ab Samstagmorgen 2.00 Uhr wieder Gaslieferungen vorgemerkt worden.

Der Umfang der angekündigten Lieferungen entsprach zunächst dem Niveau vor der Unterbrechung, also etwa 20 Prozent der maximal möglichen Menge und damit täglich 33 Millionen Kubikmeter Erdgas. Selbst für diese Reduzierung der Gasmenge kann es keine technischen Gründe geben, so Experten – die Einschränkung wird als Antwort auf Sanktionen des Westens wegen Russlands Überfall auf die Ukraine interpretiert.

Gelieferte Gasmenge tendiert gegen null – angeblich technische Gründe

Am späten Freitagnachmittag zeigten die vorläufigen Daten dann nur noch eine kaum nennenswerte Menge an.  Seit Mittwochmorgen fließt kein Gas durch die zuletzt wichtigste Leitung für russisches Gas nach Deutschland. Grund sind laut dem russischen Energiekonzern Gazprom Wartungsarbeiten an einer Kompressorstation. Das Unternehmen hatte angekündigt, dass der Lieferstopp bis zum 2. September andauern werde.

Der russische Energieriese Gazprom sei nicht schuld daran, dass die Zuverlässigkeit der Leitung durch die Ostsee gefährdet sei, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge am Mittag gesagt. Es gebe keine technischen Reserven. „Es läuft nur eine Turbine“, sagte er auf die Frage eines Journalisten nach möglichen weiteren Unterbrechungen.