Interview im TV

Gauck plädiert für entschlossene Migrationspolitik

Der Alt-Bundespräsident warnt vor einem Erstarken des Rechtspopulismus und spricht sich für mehr neue Wege im Kampf gegen den Kontrollverlust aus.

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Alt-Bundespräsident Joachim Gauck spricht sich für eine entschlossene Migrationspolitik aus.
Alt-Bundespräsident Joachim Gauck spricht sich für eine entschlossene Migrationspolitik aus.Archivbild/Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Alt-Bundespräsident Joachim Gauck hat sich für eine Kursänderung in der europäischen Flüchtlingspolitik ausgesprochen. Gauck plädierte in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ für eine „neue Entschlossenheit“ im Umgang mit Migranten. Er sehe angesichts der weiter zunehmenden Probleme in Kommunen und Landkreisen sonst erhebliche Probleme für das Land. Gauck bezog sich dabei nicht allein auf Deutschland.

Der Ex-Bundespräsident sagte am Sonntagabend, die Politik müsse entdecken, „dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um den Kontrollverlust, der offensichtlich eingetreten ist, zu beheben“. Eine „neue Entschlossenheit“ müsse den Bevölkerungen in Europa den Eindruck vermitteln, dass die Regierungen handlungswillig und -fähig seien. „Und dazu bedarf es offenkundig auch der Debatte neuer Wege und nicht nur das Drehen an Stellschrauben.“

Gauck: Sorge vor Verlust von Sicherheit ernstnehmen

Gauck sprach sich dafür aus, „offen und einladend“ zu bleiben. Zugleich rief er dazu auf, Sorgen in der Bevölkerung vor einem Verlust an Sicherheit und Überschaubarkeit ernst zu nehmen. Sonst drohe ein weiterer Rechtsruck.

Gauck verwies auf die Politik der Sozialdemokraten in Dänemark, die einen strikten Einwanderungskurs verfolgen. Da hätten sich viele erschrocken, gerade progressive Menschen. Es sei aber gelungen, so eine nationalpopulistische Partei unter drei Prozent zu halten. „Das heißt: Wir müssen Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen.“ Es bestehe jedoch die Gefahr, dass die „wunderbare Solidarität“ der Bevölkerung schwinde.

Er sei daher dazu gekommen, „dass es vielleicht auch moralisch überhaupt nicht verwerflich ist und politisch sogar geboten, eine Begrenzungsstrategie zu fahren“. Gauck sagte weiter: „Wir müssen zwei Dinge zusammenbringen: Wir brauchen Zuwanderung, aber wir brauchen keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme, ohne dass die Fachkräfte, die wir brauchen, vorhanden sind.“

Kritiker sorgt mögliche Aufweichung des Rechts auf Asyl

Gegen Gauck regte sich umgehend Kritik. „Gauck, Ex-Bundespräsident und evangelischer Pfarrer, ermutigt die Parteien zu einer - wörtlich - inhuman und brutal ‚klingenden‘ Flüchtlingspolitik. Schlimmer kann der Tag heute nicht mehr werden“, schrieb Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes auf der Kurznachrichtenplattform X (zuvor Twitter).

Die Kritiker befürchten, dass Gauck damit einer Aufweichung des Rechts auf Asyl aus dem Grundgesetz den Weg redet. „Joachim Gauck sagt, beim Thema Migration müsse man das ‚Undenkbare denken‘ und eröffnet damit zugleich Schneisen für eine Politik der Entrechtung und Herabwürdigung von Schutzsuchenden“, schrieb der Maximilian Pichl, Professor für Soziales Recht der Sozialen Arbeit an der Hochschule RheinMain in Frankfurt/Main.

Zuspruch gab es bereits aus der CDU. „Wie 1992 braucht es jetzt in Deutschland einen neuen überparteilichen Konsens, der wirksame Begrenzung der Fluchtmigration und Erleichterung der Arbeitskräftemigration gleichermaßen ermöglicht“, schrieb Schleswig Holsteins Bildungsministerin Karin Prien auf X.