Am Donnerstag gab es wieder Luftalarm in Kiew, Menschen flüchteten sich in die U-Bahnhöfe. Landesweit habe es elf Tote durch  russische Raketen und Drohnen gegeben, meldete der Zivilschutz.
Am Donnerstag gab es wieder Luftalarm in Kiew, Menschen flüchteten sich in die U-Bahnhöfe. Landesweit habe es elf Tote durch  russische Raketen und Drohnen gegeben, meldete der Zivilschutz. Efrem Lukatsky/AP

Der Konfliktforscher Hein Goemans stuft die Panzerlieferungen Deutschlands und der USA an die Ukraine als einen Wendepunkt des Krieges ein.  Der Professor für internationale Politik an der US-Universität Rochester: „Der Westen verfolgt nicht länger die Linie, dass die Ukraine nicht verlieren darf. Er verfolgt jetzt das Ziel, dass die Ukraine gewinnen muss.“ Der Niederländer  ist ein  Experte, der sich insbesondere mit der Frage beschäftigt hat, wie militärische Konflikte beendet werden.

Das entschlossene und koordinierte Vorgehen der USA, Deutschlands und anderer westlicher Staaten sei auf jeden Fall die richtige Vorgehensweise, sagte Goemans.

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Jedes Land hat das Recht auf Selbstverteidigung

Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen räume jedem UN-Mitglied das Recht auf Selbstverteidigung ein. „Diejenigen, die vor einer ‚Eskalation‘ warnten und darum keine Leopard 2-Panzer in die Ukraine schicken wollten, scheinen dieses Recht einschränken zu wollen. Das wäre ein äußerst gefährlicher Präzedenzfall. Damit würde der Aggressor – Russland – bestätigt.“

Von den Drohungen, die Russland jetzt ausstoße, dürfe man sich nicht beeindrucken lassen, sagte Goemans. „Russland kommuniziert immer über Drohungen. Es begann den Krieg mit Drohungen und hat nie damit aufgehört. Bisher waren es jedoch leere Drohungen – Bluff. Russland hat in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen, dass ein Einknicken nur weitere Drohungen und noch mehr Forderungen nach sich zieht.“ 

Verhandlungsangebote haben keinerlei Wirkung

Goemans: „Russland – mit anderen Worten Wladimir Putin – versteht nur eine Sprache: kollektives Handeln und Unterstützung der Ukraine. Verhandlungsangebote haben hingegen keinerlei Wirkung.“

Die gemeinsame Panzer-Lieferung der Verbündeten sei nicht nur militärisch, sondern auch politisch von großer Bedeutung. Das Signal, das davon ausgehe, sei, dass Putin den Westen nicht spalten könne. „Das ist wichtig, denn Putins Hoffnung auf einen Sieg hängt davon ab, wie sich der Westen verhält“, sagte Goemans. „Gegen einen Westen, der geschlossen hinter der Ukraine steht, hat Russland mittel- und langfristig keine Chance.“

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hat unterdessen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für das Zögern in der Frage um die Lieferung der Kampfpanzer an die Ukraine kritisiert. Das habe einen „bitteren Nachgeschmack“, sagte Heusgen am Donnerstag im ZDF. „Deutschland hätte das viel früher machen müssen.“

Spitzendiplomat kritisiert den Kanzler

Deutschland erhebe immer wieder die Erwartung und den Anspruch, Führung in Europa zu übernehmen. „Und dann kann man eben als Letzter nicht das Nötigste machen“, sagte Heusgen, der bis 2021 deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen war.

Welche Länder welche Panzer an die Ukraine liefern wollen, zeigt diese Grafik
Welche Länder welche Panzer an die Ukraine liefern wollen, zeigt diese Grafik Grafik/Quelle: dpa

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Aus Sicht von Heusgen ist es falsch, sich in solchen Fragen von den USA abhängig zu machen: „Überall heißt es: Europäische Souveränität, wir müssen auf eigenen Beinen stehen.“ Er spielt damit auf den Verdacht an, dass Deutschland nur dann Panzer liefern wollte, wenn es die Amerikaner auch tun.

Deutschland, die USA und andere Verbündete hatten am Mittwoch angekündigt, dass sie die Ukraine mit weit mehr als 100 Kampfpanzern westlicher Bauart unterstützen wollen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der Regierung in Kiew zunächst 14 Leopard 2-Panzer aus Bundeswehrbeständen zu, US-Präsident Joe Biden kündigte die Lieferung von 31 M1 Abrams an.

Weitere Leopard-Panzer sollen unter anderem aus Polen kommen, insgesamt ist von 88 Stück die Rede.