Flüchtlingskrise an der türkischen Grenze : Der zynische Nervenkrieg mit der Not
Tausende harren in der Kälte aus, Berlin warnt Migranten vor Aufbruch in die EU.

Es ist ein zynisches Kräftemessen, mit dem Leben Tausender Menschen in Not als Pfand: An der türkisch-griechischen Grenze droht ein tagelanger Nervenkrieg um die Flüchtlinge und Migranten, die im Niemandsland zwischen beiden Staaten feststecken. Die EU-Grenzagentur Frontex befürchtet, dass die Massenströme in die EU kaum aufzuhalten sind.
Mit Tränengas, Schlagstöcken und Blendgranaten drängten griechische Grenzposten gestern erneut Hunderte Menschen zurück, die bei Kastanies die EU-Grenze überqueren wollten. Wie sie harren laut UN 13000 Flüchtlinge im Grenzgebiet in der Kälte aus – die türkischen Grenzpolizisten lassen sie nicht zurück in die Türkei. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex rechnet damit, dass sich die Lage trotz zusätzlicher Kräfte dramatisch zuspitzen wird, der türkische Präsident Recep Erdogan droht der EU sogar mit „Millionen Flüchtlingen“.
Bundesregierung warnt Flüchtlinge und Migranten vor einem Aufbruch Richtung Europa
„Es wird schwierig sein, den massiven Strom von Menschen, die sich auf die Reise gemacht haben, zu stoppen“, heißt es in einem internen Frontex-Bericht, aus dem die „Welt“ zitiert. „Darum ist kurzfristig in den kommenden Tagen noch ein Anstieg des Drucks zu erwarten“, sogar wenn die türkischen Behörden handeln sollten, um Grenzübertritte zu verhindern. Athen hatte bereits am Vorabend alle Sicherheitskräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt, um illegale Grenzübertritte zu stoppen. Asylverfahren für neue illegal eingereiste Migranten sind für einen Monat ausgesetzt. Festgenommene Migranten sollen ohne Registrierung direkt in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden.

Als Reaktion auf den Zustrom von Migranten, die zu den Inseln Lesbos, Chios und Samos übergesetzt hatten, führten Einheiten der griechischen Armee auf den Inseln im Osten der Ägäis und am Grenzfluss Evros Schießübungen durch. Montag ertrank in der Ägäis ein Kind, als vor Lesbos ein Schlauchboot mit 48 Migranten unterging. Für die EU begann eine Woche schwierigster Krisendiplomatie. Vertreter machten sich vor Ort ein Bild der Lage. Der türkische Präsident Erdogan wollte noch gestern mit Kanzlerin Angela Merkel telefonieren, die Erdogan gestern mit harschen Worten kritisiert hatte. „Der türkische Präsident fühlt sich im Augenblick nicht ausreichend unterstützt“, sagte Merkel. Bei allem Verständnis sei es aber „völlig inakzeptabel, dass man das jetzt auf dem Rücken von Flüchtlingen austrägt.“
Weiter warnte die Bundesregierung Flüchtlinge und Migranten vor einem Aufbruch Richtung Europa. Merkels Satz, 2015 werde sich nicht wiederholen, habe Gültigkeit, hieß es. Der Bewerber um den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, fordert eine Neuauflage des Flüchtlingspakts mit der Türkei – und mehr Druck auf Moskau im Syrien-Konflikt. Russland sei „der entscheidende Spieler“, um die Fluchtursachen in Syrien zu beseitigen. Syrien drohte der Türkei nach der Eskalation im letzten großen Rebellengebiet Idlib mit heftiger Gegenwehr.