Die US-Botschaft auf Kuba. Hier wurden 2016 die ersten Fälle des „Havanna-Syndroms“ bekannt. 
Die US-Botschaft auf Kuba. Hier wurden 2016 die ersten Fälle des „Havanna-Syndroms“ bekannt.  AP/Desmond Boylan

Washington D.C. - Die Regierung von US-Präsident Joe Biden steht unter Druck, ein Rätsel zu lösen, das schon ihre Vorgänger geplagt hat: Greift ein Feind die Gehirne von Diplomaten, Militärangehörigen und Spionen mit Mikro- oder Radiowellen an? Die Zahl von berichteten Fällen möglicher Attacken hat in der jüngsten Vergangenheit deutlich zugenommen, Parlamentarier und mutmaßlich Betroffene verlangen Antworten.

Wissenschaftler und Regierungsbeamte sind sich noch nicht sicher, was wirklich vor sich geht: Sind es gezielte Angriffe, und wenn ja, von wem? Oder sind  Symptome unbeabsichtigt durch Überwachungsgeräte verursacht worden? Auf jeden Fall hat die Regierung versichert, dass sie die Angelegenheit ernst nehme, intensive Untersuchungen im Gange seien und für gute medizinische Betreuung der Betroffenen gesorgt werde.

Erste Fälle traten in Havanna auf

Es geht um das sogenannte Havanna-Syndrom, so benannt, weil 2016 erstmals US-Botschaftspersonal auf Kuba betroffen war. Inzwischen werden fast 130 Vorkommnisse in verschiedenen Staaten und Bereichen der Regierung untersucht. Mutmaßlich Betroffene berichten von Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Symptomen wie bei Gehirnerschütterungen. Manche benötigen monatelange medizinische Behandlung. Einige sagen, dass sie vor dem Auftreten der Beschwerden ein lautes Geräusch gehört hätten.

Besonders alarmierend sind Berichte von zwei möglichen Vorfällen im Gebiet Washington, einer davon nahe dem Weißen Haus im November, als bei einem Regierungsbeamten plötzlich Schwindel auftrat.

Es gibt Klagen, dass das Problem in Washington lange Zeit nicht ernst genommen worden sei. „Die Regierung hat mehr Erkenntnisse, als sie nach außen lässt“, sagt etwa der Anwalt Mark Zaid, der mehrere der mutmaßlich Betroffenen vertritt. Ihm lägen Unterlagen des Geheimdienstes NSA vor, nach denen die NSA schon vor über 20 Jahren Informationen über ein nicht identifiziertes „feindliches Land“ hatte, das möglicherweise über eine Mikrowellen-Waffe verfüge, „um einen Gegner im Laufe der Zeit zu schwächen, einzuschüchtern oder zu töten“.

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Chris Miller, letzter Verteidigungsminister unter Donald Trump, rief ein Gremium zur Untersuchung möglicher Attacken ins Leben. Zuvor war er mit einem Soldaten zusammengetroffen, der beschrieb, wie er während seiner Stationierung in einem nicht näher bezeichneten Land ein „kreischendes“ Geräusch hörte und dann heftige Kopfschmerzen einsetzten. „Er war extrem gut ausgebildet und hatte Erfahrungen mit Kampfeinsätzen“, sagte Miller. „Das kann man nicht ignorieren.“ 

Radiowellen werden bereits als Waffe eingesetzt: US-Soldaten an einem Waffensystem, das mittels Radiowellen die Funkverbindung zu feindlichen Drohnen unterbricht.
Radiowellen werden bereits als Waffe eingesetzt: US-Soldaten an einem Waffensystem, das mittels Radiowellen die Funkverbindung zu feindlichen Drohnen unterbricht. U.S. Marine Corps

Laut einer Analyse der National Academy of Science ist „gezielte, gepulste Radiofrequenz-Energie“ der plausibelste Auslöser des Syndroms. Eine solche Radiowellen-Attacke könne die Gehirnfunktion verändern, ohne starken strukturellen Schaden zu verursachen. Aber die Wissenschaftler konnten nicht sagen, wie die Menschen getroffen worden sein könnten.

Absicht oder Nebenwirkung?

Der Neurologie-Professor James Giordano untersuchte die Fälle in Havanna und andere jüngere Vorkommnisse und fand bei mehreren Betroffenen Hinweise auf Nerven-Verletzungen, was auf Radiowellen als Verursacher hindeuten könnte. Nach seinen Erkenntnissen könnte ein Gerät gezielt eingesetzt worden sein oder ein Instrument, das Energie-Wellen zur Überwachung benutzt, die Menschen unbeabsichtigt verletzt haben. Der Vorfall im November nahe dem Weißen Haus habe erhebliche Ähnlichkeiten mit den Havanna-Fällen.

Andere Wissenschaftler sind skeptisch. Robert Baloh von der University of California  glaubt, dass die wachsende Zahl von gemeldeten Fällen psychisch bedingt sei, das heißt, dass Menschen, die von Symptomen bei anderen gehört hätten, anfingen, sich selbst krank zu fühlen. „Viele Leute hören davon, und so verbreitet es sich.“