Fake-Bewertungen im Netz gefährden Leib und Leben
ZDF-Bericht deckt auf, dass viele positive Rezensionen gekauft und erfunden sind. Mit gefährlichen Folgen.

Berlin – Christina, eine junge Frau aus Süddeutschland, ist verzweifelt. Beide Brüste mussten ihr abgenommen werden, nachdem eine plastische Operation katastrophal schief gegangen war. Sie hatte sich auf die großartige 1,0- Patientenbewertung des Chirurgen verlassen, die sie auf dem Portal „Jameda“ im Internet gefunden hatte. Die wenigen Verrisse blendete sie aus. Bei Patientin Sarah hat derselbe Mediziner nach eigener Darstellung die Nasen-Verschönerung verhunzt. Der im Netz so hervorragend bewertete Arzt ist inzwischen seine Approbation los.
Die beiden Frauen äußerten sich gegenüber dem ZDF-Magazin „frontal 21“. Es ging am Dienstag mit seiner Dokumentation „Fake mit 5 Sternen“ dem Phänomen gekaufter Bewertungen von Produkten und Dienstleistungen bei Google, Amazon und anderen Portalen nach. Das Ergebnis war erschreckend. Etwa jede zweite Online-Bewertung sei erfunden.

Allein der plastische Chirurg, der gegenüber frontal 21 alle Vorwürfe falscher Bewertungen und Pfuschs bestritt, soll 100 Internet-Lobpreisungen beim von Berlin aus operierenden Bewertungs-Anbieter „Goldstar-Marketing“ bestellt haben. Das zeigen Unterlagen, die ein Informant aus der Firma vorlegte. Sie belegen auch, dass ein Autohändler 1867 Euro für 200 gute Bewertungen hinblätterte.
Geschrieben werden die Lobeshymnen von Privatleuten, die dafür von den Bewertungs-Agenturen ein kleines Salär oder die beworbenen Produkte gratis erhalten. Oder von den Auftraggebern selbst.
Geld verdienen mit Fake-Rezensionen
Bei Amazon wird der Schwindel auch über Facebook-Gruppen organisiert, wer fünf Sterne für ein Produkt vergibt, wird belohnt. Terry Noonan von der US-Firma ReviewMeta ist Kenner der Szene: „Es gibt Leute, die schreiben zehn Bewertungen am Tag. Deren ganzes Leben besteht darin, Produkte umsonst abzusahnen und bei Ebay zu verkaufen.“
Das kann lebensgefährliche Folgen haben. Eine chinesische Lichterkette für den Einsatz unter freiem Himmel, die blindlings gepriesen wurde und zeitweilig „Amazon’s Choice“ war, mag als Beispiel dienen: Bei einer Prüfung durch den „Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik“ (VDE) zeigte sich, dass Wasser in die Fassungen dringt. Tödliche Stromschläge drohen.

Eigentümlich ist, dass den meisten Leuten klar ist, dass sie sich nicht auf die Bewertungen verlassen können. Eva Stüber vom Kölner Institut für Handelsforschung: „Trotzdem hat das Bewertungssystem so großen Erfolg, weil diese Auswahl (an Produkten, d. Red.) die Menschen letztendlich permanent fordert.“ Man werde viele Entscheidungen treffen, dass man Ruhe wolle. Da seien die Bewertungen „ein wunderbarer Anker. Selbst wenn der Anker eigentlich gar nicht stabil ist und viele das auch wissen“.
Sinnlose Produkte werden wegen Fake-Bewertungen gekauft
Die Dokumentarfilmer machten die Probe aufs Exempel. Sie gründeten eine Firma, füllten Ostsee-Sand in Säckchen, bestellten gute Bewertungen für „vitalisierenden Sand“ unter dem Markennamen „Marisuna“ und warteten ab, ob Bemerkungen wie eines erfundenen Marius („Super Idee, kommt echt vom Meer“) Wirkung zeigen. Und tatsächlich: Die schick fotografierten Säckchen für 4,99 Euro das Stück fanden Besteller.
Online-Händler, Ärzte, Autohändler, Anwälte, Handwerker, Industriebetriebe und sogar Stadtwerke kaufen nach den Recherchen von frontal 21 positive Bewertungen. Das Ziel: Mehr Umsatz.
Zwar versuchten die Portale, derlei Machenschaften zu unterbinden, wie sie frontal 21 mitteilten, aber kaum ist eine Quelle falscher Bewertungen gestopft, sprudelt sie an anderer Stelle erneut. Experte Noonan verlangt deshalb, dass Amazon sein ganzes Bewertungssystem abschafft oder tausende Verkäufer „hinauskickt“.
Kartellamt ist machtlos
In Deutschland kann das zuständige Bundeskartellamt wenig ausrichten, weil ihm die rechtlichen Mittel gegen die Wettbewerbsverstöße – und das sind die falschen Bewertungen – fehlen. Das Verbraucherschutzministerium arbeitet noch an einer Verschärfung des Wettbewerbsrechts.
Ob das Firmen wie Goldstar-Marketing stoppen kann, die einen Schauspieler in einem Werbe-Video als ihren angeblichen Geschäftsführer präsentiert hatte? Verbraucherschutz-Anwalt Boris Wita hat da so seine Zweifel, sagte frontal 21: „Da lachen sich die Anbieter ja kaputt. Sollen die mir doch eine Abmahnung schicken, sollen sie mir doch ein Verfahren anhängen. Bußgeld 200.000 Euro. Erstens, die Big Player haben die Kohle, ist denen doch scheißegal, 200.000 Euro. Und die kleinen, die sich gerade etablieren wollen, die, die noch betrügerischer sind, die hauen halt ab.“

Leser des Berliner KURIER sind der Firma übrigens schon begegnet, weil sie hinter einer nicht existenten Anwaltskanzlei steckt und gegen Geld schlechte Bewertungen aus dem Netz entfernt, die man auch bei ihr kaufen kann.
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Der KURIER hatte als Kopf des Systems den Unternehmer Norbert W. ausgemacht, der mit Firmen und Strohmännern auf den Cook-Inseln, Zypern, Malta und Mallorca jongliert und alle Betrugs-Vorwürfe bestritt. Gegenüber dem Team von frontal 21, das ihn vor einer Villa in Grunewald abpasste, verweigerte der Mann jegliche Stellungnahme.
Die Sendung „Fake mit 5 Sternen“ kann noch in der ZDF-Mediathek angesehen werden.