Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht hatte der Bundesregierung vorgeworfen einen Wirtschaftskrieg gegen Russland zu führen.
Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht hatte der Bundesregierung vorgeworfen einen Wirtschaftskrieg gegen Russland zu führen. dpa/Michael Kappeler

Die Linke hat ja seit ihrer Gründung vor 15 Jahren schon einiges durchgemacht, hat Höhenflüge gefeiert und Niederlagen durchlitten, hat Solidarität beschworen und auf offener Bühne gezankt, immer wieder und vor allem auch mit ihrer Ikone: Sahra Wagenknecht. Nun aber sei es genug, sagen Insider. Bei der Sitzung der Bundestagsfraktion an diesem Dienstag gab es jedoch eine Überraschung.

Sahra Wagenknecht: Wie lange bleibt sie noch bei der Linken?

Ironischerweise ist Die Linke eigentlich gerade recht erfolgreich mit der Kampagne #genugistgenug gegen die Energie- und Sozialpolitik der Ampel-Koalition. Die Partei hat ein neues Führungsteam und ein Thema in diesem Krisenherbst und sogar Hoffnung auf einen Achtungserfolg bei der Landtagswahl in Niedersachsen. Und jetzt wieder dieser Zwist zwischen Fraktion und Parteispitze, der sich vor allem um eine Person dreht: Sahra Wagenknecht.

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„So schlimm war es noch nie“, sagt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker zur Lage der Partei. Wagenknecht habe den Konflikt auf die Spitze getrieben. „Ich glaube, es ist nur noch eine Frage von Wochen, dass sie die Partei verlassen wird oder dass man ihr bedeutet, sie möge gehen.“ Die Folgen könnten weit reichen: Träten drei oder mehr der 39 Abgeordneten aus, wäre Die Linke keine Fraktion mehr und verlöre Geld und politischen Einfluss.

Anlass der jüngsten Episode ist Wagenknechts Bundestagsrede zur Russlandpolitik am 8. September. Wie bereits in Interviews forderte sie darin ein Ende der Sanktionen und widersprach damit Parteitagsbeschlüssen, die den russischen Angriffskrieg verurteilen und die meisten Sanktionen unterstützen. Beifall gab es von der AfD. Vielen Genossen platzte der Kragen.

Wird Wagenknecht weiter isoliert?

Es gab in den vergangenen Tagen Unterschriftensammlungen und Parteiaustritte, doch nicht alle lehnen Wagenknechts Haltung ab. Die Fraktionskollegen Klaus Ernst und Alexander Ulrich sind auf ihrer Linie und sehen ihre Äußerungen auch von den Parteitagsbeschlüssen gedeckt. Nun prallen die Lager aufeinander. In der Fraktionssitzung ging es um einen Antrag von acht Abgeordneten, die Auftritte wie den von Wagenknecht künftig unterbinden wollen – also Reden, die nicht die Parteilinie spiegeln. Unklar, ob eine Mehrheit wirklich mitgeht und Wagenknecht weiter isoliert.

Fraktionschef Dietmar Bartsch glaubt an ein Fortbestehen der Fraktion, doch um ihn wird es immer einsamer. „Dieser Konflikt geht schon sechs, sieben Jahre so“, sagt Bernd Riexinger, ehemaliger Parteichef und einer der acht Unterstützer des Antrags. Schon in der Migrationspolitik vertrat Wagenknecht eine eigene Linie, dann in der Corona-Politik. Im Bundestagswahlkampf fuhr sie der eigenen Partei mit einem Buch in die Parade. Riexinger fordert eine inhaltliche Klarstellung: Ist Die Linke „moderne Friedenspartei“ oder eine „eher linkskonservative, populistische Partei“?

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Träte Wagenknecht aus, verlöre Die Linke „die mit Abstand charismatischste und medientauglichste Sprecherin der Partei“, meint Politikwissenschaftler Decker. Wagenknecht würde in dem Fall der Resonanzboden für ihre Aussagen fehlen. Einige in der Linken meinen deshalb, dass sie bleibt. Sie selbst sagte vorige Woche dem Kölner Stadt-Anzeiger nur: „Aktuell bin ich Mitglied der Linken.“

Am Abend meldeten Teilnehmer der Fraktionssitzung, dass der Richtungsstreit im letzten Moment entschärft wurde: „Es ist zumindest heute sehr klar geworden, dass diese Partei, diese Fraktion zusammenbleiben will“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte am Dienstagabend. Ein Antrag zur Maßregelung der Abgeordneten Sahra Wagenknecht wegen einer umstrittenen Bundestagsrede wurde zurückgezogen. Stattdessen einigte man sich auf einen Kompromiss, dass Abgeordnete bei Reden im Namen der Fraktion deren Linie vertreten müssen.

Wagenknecht warf Bundesregierung vor, einen Wirtschaftskrieg „vom Zaun zu brechen“

Wagenknecht hatte mit ihrer Rede vom 8. September auch intern heftige Kritik ausgelöst. Sie warf darin der Bundesregierung vor, einen Wirtschaftskrieg „vom Zaun zu brechen“, und forderte ein Ende der wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen gegen Russland. Wagenknecht wurde intern vorgeworfen, Ursache und Wirkung zu vertauschen und sich nicht an die Parteilinie zu halten, die den Ukraine-Krieg klar verurteilt und viele Sanktionen mitträgt.

Acht Abgeordnete hatten den Antrag gestellt, solche Auftritte künftig zu verhindern und Abgeordnete auf die Beschlüsse der Partei zu verpflichten. Sie hatten dabei Wagenknecht genannt. Als keine Mehrheit in Sicht war, zogen die Antragsteller dies zurück. Die Fraktionsspitze konterte mit einem Kompromissvorschlag, der einige Formulierungen aufgreift, der aber Wagenknecht nicht nennt. Damit zeigte sich letztlich eine Mehrheit zufrieden.

Ex-Parteichef Riexinger sieht Kompromiss als „ganz gute Grundlage für die Fraktionsarbeit“

Der frühere Parteichef Bernd Riexinger, einer der acht Antragsteller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, man habe „eine ganz gute Grundlage für die Fraktionsarbeit gefunden“. Er fügte aber hinzu: „Das muss jetzt erstmal von allen gelebt werden.“

Vor der Sitzung hatte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali vor einer Spaltung ihrer Fraktion und Partei gewarnt. Diese herbeizureden, sei unverantwortlich, sagte sie. Sie bedauere die Austritte prominenter Mitglieder aus der Linken. „Das ist eine Situation, die hochbrisant ist, und mit der wir umgehen müssen.“

Sie sehe es als ihre Verantwortung als Fraktionsvorsitzende, die Fraktion zusammenzuhalten, sagte Mohamed Ali - fügte aber hinzu: „Nun sind wir eine komplizierte Partei, das sind wir immer schon gewesen, und wenn ich eine Formel dafür hätte, wie man dafür sorgt, dass jetzt nur noch Dinge geschehen, die uns in Einigkeit erstrahlen lassen, hätte ich es schon gemacht. Habe ich aber leider nicht.“

Knallt es bald erneut? Wagenknecht hatte sich auch früher immer wieder von Linken-Fraktion abgesetzt

Ob der Grundsatzkonflikt in Partei und Fraktion beigelegt ist, bleibt fraglich. Wagenknecht hatte sich schon in der Vergangenheit immer wieder von der Fraktionslinie abgesetzt, unter anderem in der Migrations- und der Corona-Politik. Nach der umstrittenen Bundestagsrede hatten Parteimitglieder Unterschriften für ihren Ausschluss aus der Fraktion und für den Rücktritt der Fraktionsspitze gesammelt.

Am Dienstag machten neun Landesvorsitzende der Linken in einem Schreiben an die Bundestagsfraktion noch einmal ihren Unmut über Wagenknechts Rede deutlich. Deren „Ursachen-Wirkungs-Umkehr“ rufe entschiedenen Widerstand aus der Partei hervor. „Es schadet uns als Partei, wenn wir in öffentlichen Reden nicht nur widersprüchlich sind, sondern sogar abseitigen Interpretationen der Wirklichkeit eine Bühne bieten“, heißt es in dem Schreiben, das den Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler den Rücken stärkt.

Und weiter: „Die Mitglieder sind es leid, immer wieder mit innerparteilichem Streit in der Öffentlichkeit zu stehen. Es konterkariert unser Bemühen, die Partei zusammenzuhalten und zurück in die politische Offensive zu kommen.“ Inhalte dürften nicht „in lauten, öffentlichen Selbstdarstellungen“ untergehen.