Auf einer Demo in Potsdam demonstriert eine Frau mit einem Schild auf dem steht: Jeden Tag ist Frauentag.
Auf einer Demo in Potsdam demonstriert eine Frau mit einem Schild auf dem steht: Jeden Tag ist Frauentag. Foto: Imago/Martin Müller

Vor elf Dekaden wurde der feministische Kampftag auf der Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen erstmals ausgerufen. Proletarische Frauenkämpferinnen wie Clara Zetkin oder Käte Duncker forderten das Frauenwahlrecht und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 110 Jahre später ist der sogenannte „Frauentag“ endgültig vom Kapitalismus eingenommen worden. Kaufhallen überbieten sich mit Angeboten für Sekt und Blumen. Ein Restaurant in der Uckermark bietet Frauentagsmenüs in Thermoboxen, damit der Herr des Hauses am Abend nur noch die Kerze anzünden muss. Wertvolle Lebenszeit soll eben nicht am Herd verschwendet werden: Auch der 8. März lässt die statistisch niedrige Sorgearbeit der Männer so nicht in die Höhe schießen.

Doch wir brauchen keine Blumen. Auch keinen Sekt. Auch für Dinner im Kerzenschein ist es zu spät. Wir brauchen Verbündete, die den Kampf gemeinsam mit uns führen. Die Zeit drängt, das Patriarchat hat im vergangenen Jahr zu alter Größe gefunden, die Covid-19-Krise hat bestehende Ungleichheiten verstärkt.

Frauen arbeiten mehrheitlich in Pflege- und Erziehungsberufen – unterbezahlt und direkt an der Front. Sie leisten im Schnitt fast 1,5 Stunden mehr unbezahlte Sorgearbeit. Besonders erschreckend: Die größte Lücke gibt es bei Menschen Mitte 30, hier schuften Frauen mit fünf Stunden und 18 Minuten mehr als doppelt so lang wie ihre männlichen Partner. Sorgearbeit wird – anders als Lohnarbeit – gesellschaftlich abgewertet, auch deshalb bleiben scheinbare Frauenberufe schlecht bezahlt. Warum gut entlohnen, was zu Hause umsonst ist?

Frauentag: Keine Festreden sondern feministischer Kampf

Was wir heute also brauchen, sind weder Festreden noch Glückwunschkarten. Wir brauchen keine Politikerinnen und Politiker, die die nächste Scheinreform ankündigen, um die Gemüter zu besänftigen. Denn der 111. Frauentag ist kaum mehr als eine Infoveranstaltung für Uninteressierte, ein jährliches Ereignis, um über die aktuelle Lage der Frauen zu berichten, Statistiken zu nennen, die sich selten verbessern. Auch in dieser Zeitung werden dem Anlass entsprechend ein paar Seiten freigeräumt.

Was wir aber brauchen, ist feministischer Kampf und Widerstand auch an allen anderen Tagen. Und die Einsicht, dass es eben nicht um Frauen geht, sondern darum, patriarchale Strukturen endlich zu zerschlagen. Schön, dass an diesem nach uns benannten Tage Männer ihre privilegierten Positionen kurz vergessen und die Bühne für uns räumen. Dass wir auf Demos sprechen oder große Texte schreiben, dass wir die Stimme erheben und auch mal erhöht werden. Es ist aber zu kurz gedacht, wenn das anlassgebunden nur am 8. März passiert.

Wir brauchen Männer und Allianzen, die diesen Kampf auch an allen anderen Tagen mit uns gehen. Die uns nicht nur heute gönnerhaft die Bühne überlassen, sondern auch beim nächsten Arbeitstreffen solidarisch sind. Studien zeigen regelmäßig, dass Frauen in professionellen Umgebungen häufiger unterbrochen werden, weniger zu Wort kommen und ihre Ideen kaum gehört werden, wenn ein Kollege sie nicht aufgreift. Redezeit ist zum Statussymbol geworden. Wie viel wir reden gelassen werden, zeigt, wie viel Macht wir haben. Wo sind also die Männer, die auch an allen anderen Tagen ihre geerbten Privilegien zur Seite räumen, uns reden und nicht ständig allein kämpfen lassen?

Es braucht Männer, die das Patriarchat bekämpfen

Wir brauchen Männer, die anerkennen, dass das Patriarchat es ihnen einfacher macht und Frauen härter kämpfen müssen. Die anerkennen, dass es – trotz aller Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts – noch keine Gleichberechtigung gibt. Die sich der aktuellen Herrschaftsverhältnisse bewusst sind und sehen, dass genau diese Verhältnisse Frauen (und nicht-binäre Personen) herabsetzen, ihnen Chancen und Möglichkeiten nehmen. Die verstehen, dass feministischer Kampf keine ‚Frauensache‘ ist.

Wir brauchen Männer, die sehen, dass Frauen heute zwar emanzipierter als je zuvor sind, aber immer wieder vor denselben Hürden stehen, immer wieder dieselben Entscheidungen treffen. Ja, viele dieser Entscheidungen scheinen freiwillig getroffen. Wenn abweichendes Verhalten aber geächtet wird, kann die Wahlfreiheit im Patriarchat nicht all zu groß sein.

Es ist gut und wichtig, einen symbolkräftigen Tag zu nutzen, um den Blick auf den andauernden, harten Kampf für Gleichberechtigung zu lenken. Es ist gefährlich, wenn er als Feigenblatt missbraucht wird, um nur routinemäßig einmal im Jahr auf unterdrückende, patriarchale Strukturen hinzuweisen. Denn: Das Patriarchat arbeitet ununterbrochen, der gemeinsame feministische Kampf sollte es deshalb auch!