Kinder klettern auf einem Panzer herum: Die Ukrainer stellten auf Kiews Prachtstraße Chreschtschatyk und dem Maidan erbeutetes und zerstörtes russisches Kriegsgerät aus.
Kinder klettern auf einem Panzer herum: Die Ukrainer stellten auf Kiews Prachtstraße Chreschtschatyk und dem Maidan erbeutetes und zerstörtes russisches Kriegsgerät aus. AP/Andrew Kravchenko

Vor sechs Monaten überfiel Russland die Ukraine, trotz vieler Versuche westlicher Politiker, Präsident  Wladimir Putin das auszureden. Doch wider alle Erwartungen brach die Ukraine nicht zusammen, kommen die russischen Truppen nur im Kriechgang voran. Im Norden vor Kiew und Charkiw wurden sie unter heftigen Verlusten zurückgeschlagen und ließen einen gewaltigen Panzer-Schrottplatz zurück, ihr Raketenkreuzer Moskwa wurde im April im Schwarzen Meer versenkt, zuletzt flogen an die zehn Kampfflugzeuge eines  Stützpunkts auf der seit 2014 annektierten Krim und diverse Munitionsdepots in die Luft.

So kann sich Putin den Kriegsverlauf nicht gedacht haben, als seine Panzer am 24. Februar die Grenze überschritten. Binnen Stunden änderte sich das sicherheitspolitische Gefüge in Europa: Die Nato aktivierte noch am selben Tag Verteidigungspläne für Osteuropa, EU-Sanktionspakete wurden beschlossen. Finnland und Schweden sind auf dem Weg in die Nato.

Blutbäder an Zivilisten, zerstörte Städte, massenhaft Gefallene

Inzwischen gleicht die Situation einem blutigen Patt mit unzähligen toten ukrainischen Zivilisten,  Millionen Flüchtlingen, durch Artilleriebeschuss ausradierten Ortschaften und vielen gefallenen Soldaten auf beiden Seiten. Russische Truppen gelten wegen ihres deutlich höheren Blutzolls als demoralisiert, nach ihrem Rückzug im Norden wurden unfassbare Massaker wie in Butscha vor Kiew bekannt, Raub und Vergewaltigungen. Sie schießen mit Raketen auf Städte und töten Zivilisten.

Die Truppen, nach ihrer durch miserable Führung, ukrainische Drohnen und Panzerabwehr erlittenen Niederlage im Norden in den Osten verlegt, bekamen dort zwar das Gebiet der abtrünnigen ukrainischen „Volksrepublik“ Luhansk unter Kontrolle, kommen aber in der zweiten „Volksrepublik“ Donezk kaum voran. Im Süden konnten sie Mariupol „befreien“ (und nahezu völlig zerstören), aber Odessa nicht erreichen und die Ukraine deshalb nicht vom Schwarzen Meer abschneiden. Stattdessen haben sie mit Partisanen zu kämpfen und geraten in Cherson unter Druck, weil Nachschubwege blockiert wurden.

Putin ist bei den Russen im Wort, keine Wehrpflichtigen in die Schlacht zu schicken. Wegen der hohen Verluste gibt es deshalb Aufrufe, sich Freiwilligenbataillonen anzuschließen. Aber der personelle Nachschub für die Front kommt nicht zusammen. Jetzt wird in Gefängnissen rekrutiert, Söldner werden gesucht.

Die von Nato-Staaten mit Milliardensummen und überlegenen Raketenwerfern und Geschützen unterstützte Führung in Kiew stellt der Bevölkerung eine Vertreibung der russischen Angreifer in Aussicht. Trotzdem muss Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeben, dass  rund 20 Prozent des Staatsgebiets – die Krim eingeschlossen – nicht mehr unter ukrainischer Kontrolle stehen.

Laut Moskau läuft alles nach Plan. Aber nach welchem ...?

Aus dem Kreml kommen unverändert Behauptungen, alles laufe nach Plan. Die Ziele der „militärischen Spezialoperation“, wie der Krieg in Russland offiziell nur heißt, würden in vollem Umfang erreicht. Was genau die Ziele sein sollen, ist aber auch vielen Russen nicht mehr klar. Was mit den eroberten Teilen der Gebiete Cherson, Charkiw und Saporischschja geschehen soll, dazu gibt es keine klaren Ansagen. Diskutiert werden immer wieder „Volksabstimmungen“ über einen Beitritt zu Russland wie im Fall der  Krim, ohne dass es ein Datum gibt.

Nach einem halben Jahr sieht auch das russische Exil-Internetmedium Meduza eine Pattsituation. „Die Kampfhandlungen sind in der Sackgasse, aber ein Einfrieren des Konflikts ist weder für Moskau noch für Kiew von Vorteil.“ Niemand wolle nachgeben und Verlierer sein. „Ihre politischen Ziele bringen beide Seiten dazu, ihren Einsatz zu erhöhen für einen noch größer angelegten Krieg.“