Bundeskanzler Olaf Scholz steht im Zentrum der Kritik aus der eigenen Koalition.
Bundeskanzler Olaf Scholz steht im Zentrum der Kritik aus der eigenen Koalition. dpa/Lisi Niesner

Anton Hofreiter gilt über die Parteigrenzen hinweg als äußert kompetenter Politiker, der weiß, wovon er redet. Der Diplom-Biologe versteht aber nicht nur viel von Ökologie, sondern ist innerhalb von wenigen Tagen als detailkundiger Fachmann für Militärtechnik und Strategie bekannt geworden. Für einen Grünen ist diese Blitz-Karriere bemerkenswert, zumal Hofreiter zuvor bei der Postenvergabe im Kabinett übergangen wurde. Den Posten des Landwirtschaftsministers bekam Cem Özdemir, obwohl Hofreiter dafür fachlich besser qualifiziert wäre. Nun ist der Unterlegene Vorsitzender des Ausschusses für Angelegenheiten der EU, eigentlich auch nichts, um sein Profil zu schärfen. Und doch wächst Anton Hofreiter gerade über sich hinaus.

Der Grüne Anton Hofreiter wählt klare Worte: „Wir haben einen Kanzler, der im Moment zu zögerlich ist, und einen Oppositionsführer, der nicht die Interessen des Ganzen im Blick hat“.
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Der Grüne Anton Hofreiter wählt klare Worte: „Wir haben einen Kanzler, der im Moment zu zögerlich ist, und einen Oppositionsführer, der nicht die Interessen des Ganzen im Blick hat“.

Ohne dass dies irgendjemand von ihm erwartet hätte, hat sich Hofreiter intensiv mit dem derzeit wohl schwierigsten Kapitel der deutschen Außenpolitik auseinandergesetzt, dem Ukraine-Krieg. Zusammen mit zwei weiteren Ausschussvorsitzenden des Bundestags, Michael Roth (SPD) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hatte er sich die Kriegsgräuel der russischen Invasion mit eigenen Augen angesehen und verschärft nun weiter den Ton innerhalb der eigenen Koalition. In einem Interview mit der konservativen Zeitung Welt zweifelt er Ausflüchte von Bundeskanzler Scholz an, ukrainische Soldaten seien mit der Bedienung von schweren Waffen überfordert. Auch die Begründung von Scholz für seine zögerliche Haltung, bei einer Eskalation drohe ein Atomkrieg, hält Hofreiter nicht für stichhaltig. Vielmehr hätte eine Kapitulation der Ukraine „katastrophale Auswirkungen für die ganze Welt“.

Hofreiter vergleicht Bundeskanzler Scholz mit Merkel: „das ist das Problem“

Durch die deutsche Zurückhaltung „haben wir gerade ein riesiges Problem, was unser Ansehen in der Welt betrifft“. Zuvor hatte Hofreiter in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Scholz mit Ex-Bundeskanzlerin Merkel verglichen: „Scholz ist (der früheren Bundeskanzlerin Angela) Merkel sehr ähnlich, das ist das Problem.“ Entscheidungen zu Kriegszeiten müssten aber „innerhalb von Tagen gefällt werden, besser noch innerhalb von Stunden. Und da passt der Stil von Merkel und Scholz nicht dazu.“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann beim FDP-Bundesparteitag in Berlin
dpa/Michael Kappeler
Marie-Agnes Strack-Zimmermann beim FDP-Bundesparteitag in Berlin

Trotz seiner scharfen Kritik auch an anderen SPD-Politikern wie Ralf Stegner sieht Hofreiter den Bestand der Ampelkoalition aber nicht in Gefahr: „Das sehe ich nicht. Ich sehe ein Ringen in der Koalition in einer äußerst schwierigen Lage um die richtigen Handlungen.“

FDP-Militärexpertin Strack-Zimmermann stellt Scholz infrage: „im falschen Moment am falschen Platz“

Aus der FDP bekommt Hofreiter Unterstützung von der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Militärexpertin warnt vor einer falschen Rücksichtnahme auf Russlands Präsident Wladimir Putin beim Thema Waffen- und Panzerlieferungen. „Wir dürfen uns nicht ständig von militärischen Szenarien beeinflussen lassen“, sagte sie dem Tagesspiegel vom Samstag. Das Völkerrecht erlaube es, einem überfallenen Land beizustehen und Material zu liefern.

In einem ZDF-Interview für das Polit-Magazin „Berlin direkt“ legt Strack-Zimmermann Scholz sogar indirekt den Rücktritt nahe: Der Kanzler müsse auch militärisch führen. „Die, die diese Rolle nicht annehmen wollen, (…) sitzen (…) möglicherweise im falschen Moment am falschen Platz“, so die FDP-Politikerin wörtlich.

FDP-Chef und Vizekanzler Christian Lindner spricht Scholz hingegen demonstrativ das Vertrauen aus. „Olaf Scholz ist eine verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit, die sorgsam abwägt und auf dieser Basis Entscheidungen trifft“, sagte Lindner beim FDP-Parteitag. „Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag.“

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bezeichnete die Lage der Ampelkoalition jedoch als „sehr gefährlich“. Nötig sei „eine verlässliche Politik gegenüber der Nato, eine uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine, eine reibungslose Verfassungsänderung zur Ertüchtigung der Bundeswehr – und keine realitätsfernen Sehnsüchte nach einer Friedenslösung mit Putin“, sagte er der Rheinischen Post vom Samstag. Wie schon beim Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 liege in der Luft, „dass die Sozialdemokraten ihren Kanzler im Stich lassen“.

Bundessicherheitsrat berät über 100 Marder-Panzer für die Ukraine

Scholz habe Schwierigkeiten „mit seinem offensichtlich immer noch sehr starken SPD-Russland-Netzwerk in der eigenen Partei“, sagte seinerseits CDU-Chef Friedrich Merz. Er forderte angesichts der Meinungsverschiedenheiten von Scholz eine Regierungserklärung zur Ukraine-Politik im Bundestag. Wenn er dazu nicht bereit sei, werde die Union kommende Woche im Bundestag einen eigenen Antrag auch zu Waffenlieferungen einbringen. Merz zeigte sich überzeugt, dass dieser von FDP und Grünen unterstützt werde.

Die Frage der Ausfuhr von Panzern wird nach einem Pressebericht nun erstmals seit Kriegsbeginn auch das Bundessicherheitsrat beschäftigen. Wie die Welt am Sonntag berichtete, beantragte eine Tochter des Rüstungskonzerns Rheinmetall eine Genehmigung für den Verkauf von 100 Marder-Schützenpanzern an die Ukraine. Demnach geht es um eingelagerte Fahrzeuge, von denen eine erste Tranche „innerhalb weniger Wochen“ geliefert werden könne.

Die Bundesregierung wollte sich nicht zu dem Bericht konkret äußern. Grundsätzlich würden Ukraine-Anfragen aber „zügig und konstruktiv“ behandelt, sagte eine Sprecherin des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums.

Die Deutschen sind in der Frage der Lieferung schwerer Waffen gespalten. Laut einer Insa-Umfrage für die Bild-Zeitung sprachen sich 50 Prozent dagegen aus, dafür waren 43 Prozent.