Doxing ist eine besonders perfide Variante von Bedrohung und Gefährdung im Internet.
Doxing ist eine besonders perfide Variante von Bedrohung und Gefährdung im Internet. dpa/Sebastian Gollnow

>>> Teil 1 der Serie: Hass und Drohungen im Internet – das können Sie gegen Anfeindungen und Einschüchterungen unternehmen >>>

In bestimmten Internetblasen sind Pöbeleien und Bedrohungen zum Alltagsphänomen geworden. Enthemmte User, die sich etwa in der sogenannten Sifftwitter-Blase bewegen, attackieren gezielt Personen, für deren Auffassungen sie Verachtung empfinden. Betroffene berichten häufig, dass sie infolge einer bestimmten Äußerung zu einem kontroversen Thema, sei es Corona, Putin oder Migration, von einem Account markiert wurden: ein codierter Tweet, den Follower des Accounts als Aufforderung verstehen, gegen eine Person vorzugehen.

„Hundepfeifen“ nennen Insider dieses Vorgehen, wenn ohne eine äußerlich erkennbare Aufforderung koordiniert gegen eine Person vorgegangen wird. In dem Zusammenhang wird oft versucht, vermeintlich kompromittierende und private Informationen herauszufinden und diese mit dem Zweck zu veröffentlichen, der Person zu schaden, sie zu verängstigen oder sogar in Gefahr zu bringen. Doxing oder Doxxing wird dieses Nachstellen genannt, das für Betroffene fürchterliche Folgen haben kann und strafrechtlich bis vor Kurzem nur selten belangt wurde. Eine Gesetzesänderung soll dies ändern. Josephine Ballon, Chefjuristin der Beratungsstelle HateAid, erklärt, was es mit dem sogenannten Feindeslisten-Paragrafen auf sich hat.

KURIER: Frau Ballon, seit 2021 gibt es ein neues Gesetz gegen Doxing – worum geht es dabei genau?

Josephine Ballon: Doxing war früher nur in seltenen Fällen strafbar. Das war ein großes Problem: Es gab zwar eine Norm im Bundesdatenschutzgesetz, die eigentlich für etwas anderes erschaffen worden war. Manchmal hat sie gegriffen, oft nicht. Da hat man jetzt nachgebessert und den Paragrafen 126a „Gefährliches Verbreiten personenbezogener Daten“ geschaffen, den sogenannten Feindeslisten-Paragrafen. Dafür braucht es aber keine Feindes- oder Todesliste, es reicht auch, wenn man Informationen über eine Person in einer gefährdenden Art und Weise verbreitet – die dazu führen kann, dass sich die Person einer Gefahr ausgesetzt sieht.

Von Leuten, die aggressiv im Netz unterwegs sind und doxen, also Fotos und Daten über eine Person veröffentlichen, liest man öfters, das sei ja okay, denn die Daten seien ja schon irgendwo einsehbar gewesen. Stimmt das?

Die Änderung der Strafbarkeit von Doxing im vergangenen Jahr hat eine sehr gute Sache mit sich gebracht: Früher war es wirklich so, dass nur die Veröffentlichung von geheimen Daten als Doxing gewertet werden konnte. Das ist jetzt anders: Wenn beispielsweise im Impressum einer Webseite oder in einem Blog Ihre Adresse steht, war früher die Veröffentlichung dieser Adresse auf einer Todesliste vielleicht maximal eine Beleidigung – auch wenn es als bedrohlich empfunden wurde, konnte man nicht die Gefährlichkeit des Doxing abbilden. Das ist jetzt anders: Doxing kann nach 126a auch die Veröffentlichung von bekannten Daten sein, wenn es die Person konkret in Gefahr bringt, dass eine Straftat gegen sie begangen wird.

Was für Straftaten sind denn damit gemeint, geht es nur um Mordaufrufe?

Die Straftat muss nicht eine Tötung sein, es könnte sich auch um eine Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit, persönliche Freiheit und Sachen von bedeutendem Wert handeln. Also wenn ich im Internet aufrufe: Politikerin XY fährt ein rotes Auto mit dem Kennzeichen soundso, das parkt immer in der XY-Straße, fahrt doch mal da hin und zerkratzt das ganze Auto und stecht die Reifen durch – und dann könnte das tatsächlich passieren, könnte das auch unter diesen Paragrafen fallen.

Muss die Aufforderung so konkret sein? – „Zerkratzt das Auto!“

Nein, es muss nicht so konkret lauten, sondern die Person in die Gefahr bringen. Der Doxing-Paragraf ist noch sehr neu, es gibt so gut wie keine Rechtsprechung dazu, und es ist auch ein Grenzfall. Das ist auch relevant in aktivistischen Kontexten für Menschen, die sich beispielsweise gegen Rechtextremismus einsetzen und rechte Akteure entlarven – sie könnten auch darunterfallen. Das heißt, die Gefahr darf nicht zu abstrakt, aber auch nicht so konkret sein wie in dem Beispiel mit dem zerkratzen Auto.

Wenn ich mich durch Doxing bedroht fühle, wenn jemand beispielsweise Fotos aus meiner Facebook-Seite ins Netz stellt, die zeigen, wo ich wohne – wie sollte ich mich verhalten?

Dann sollte ich erst mal einen rechtssicheren Screenshot machen, aus dem Datum und Uhrzeit der Äußerung sowie Datum und Uhrzeit des Screenshots erkennbar sind sowie der Kontext, aus dem das hervorgegangen ist. Auch die URL sollte man unbedingt sichern. Wenn der Kommentar gelöscht wird, ist es hilfreich, diese zu haben. Viele, die sich an uns wenden, fotografieren ihren Handybildschirm und man kann dann nichts darauf erkennen, das ist schwierig.

Dann sollte man solche Inhalte, wenn sie sich in sozialen Netzwerken verbreiten, dort auch melden, in der Hoffnung, dass sie dort schnell entfernt werden und sich nicht weiter verbreiten. Das klappt allerdings nicht immer. Dann sollte man sich Unterstützung suchen bei einer Beratungsstelle wie HateAid oder einer Beratungsstelle, die themenspezifisch arbeitet und sich damit auskennt.

Wann sollte ich zur Polizei gehen oder den Fall dort anzeigen? Könnte ich mir dadurch Probleme einhandeln?

Wenn eine potenzielle Straftat im Raum steht, zeigen Sie sie an. Mir ist wichtig, zu betonen: Es ist nicht Aufgabe der Betroffenen, das wasserdicht zu beurteilen. Es ist nicht schlimm, wenn man etwas anzeigt, was doch nicht strafbar ist – solange man nicht zu Unrecht einer Straftat bezichtigt oder eine Straftat erfindet, kann einem da nichts passieren. Auch wenn es sich gegen Unbekannt richtet und Sie glauben, dass die Person nicht ermittelt werden kann, zeigen Sie sie an. Wir brauchen all diese Fälle in der Statistik, um auch bei den Ermittlungsbehörden aufzuzeigen, dass es viele Menschen betrifft.

Was sollte man sonst gegen eine Person tun, von der man bedroht wird?

Man kann auch zivilrechtlich dagegen vorgehen. Das ist aufwendiger und auch mit einem Kostenrisiko verbunden, weswegen wir auch die Prozesskostenfinanzierung anbieten. Aber im Verhältnis zu der einen Person ist dies sehr wirksam. Denn damit kann man einen Unterlassungstitel erwirken, der nicht nur für alles bürgt, was in der Vergangenheit passiert ist – es muss also von allen Plattformen entfernt werden –, sondern auch für die Zukunft gilt und strafbewehrt ist. Man kann auch die Kosten des Gerichtsverfahrens geltend machen, vorausgesetzt, die Gegenseite hat Geld. Das ist sehr wirksam und man wird wahrscheinlich erst mal von dieser Person in Ruhe gelassen.

Was kann man tun, um die Gefahr zu vermindern, Opfer von Doxing zu werden?

Ich empfehle allen Leuten, einen Privatsphäre-Check auch für sich selber durchzuführen. Da hilft es, den eigenen Namen, die Adresse, den Namen des Partners, der Partnerin, der Kinder, der Schule der Kinder, seine Telefonnummer und verschiedene Kombinationen in Google und zwei andere Suchmaschinen einzugeben – und bis zur Seite fünf zu suchen, um möglicherweise auch Sachen zu finden, die man wieder vergessen hat. Vielleicht hat man noch ein altes Profil bei StudiVZ, wo man auch Fotos gepostet hat, Einträge bei DasOertliche.de, weil ein gedruckter Eintrag mal digitalisiert wurde. Dann muss man darauf hinwirken, dass diese Sachen entfernt werden. Wenn es ein Blog ist, den man nicht gut erreicht, sollte man wenigstens bei Google einen Antrag auf das Recht auf Vergessen stellen und dafür sorgen, dass der Google-Eintrag verschwindet.

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Josephine Ballon, Rechtsexpertin bei HateAid
HateAid: Beratung und Hilfe bei Bedrohungen im Netz

Frau Ballon, was passiert, wenn Bedrohungen eskalieren und ein Rechtsstreit unvermeidbar wird? Wenn es um rechtlich relevante Inhalte geht, können wir in den meisten Fällen auch Prozesskostenfinanzierung anbieten. Da arbeiten wir mit externen Kanzleien zusammen, die die Fälle übernehmen und sich sowohl um strafrechtliche als auch um zivilrechtliche Rechtshilfe kümmern – wenn ich selbst als Kläger auftrete und meine Rechte gegen die Hater durchsetzen möchte. Der Part ist in der Betroffenenhilfe besonders wichtig, weil er eine echte Möglichkeit gibt, sich konkret zu wehren.
Wir kommunizieren unsere Erfolge, um zu ermutigen, auch um Täterinnen und Täter abzuschrecken. Wir machen Vorschläge für Gesetzgebung und arbeiten viel mit den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz zusammen und machen Aufklärungsarbeit für die Belange der Betroffenen.
Alle Infos über Kontaktmöglichkeiten und Sprechzeiten auf https://hateaid.org/