Der klare KURIER-Kommentar
Doxing, Beleidigungen und Gewalt-Drohungen: Wie Menschen von TERF-Aktivistinnen attackiert werden
Die Biologin, deren Vortrag in Berlin vertagt wurde, gehört zu einem Umfeld, das Transpersonen gezielt angreift.

Viel wird gerade gesprochen von Redefreiheit und Cancel Culture. Anlass ist ein vertagter Vortrag einer Biologie-Doktorandin, die sich beruflich mit dem Verhalten von Fischen beschäftigt. Im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft wollte Marie-Luise Vollbrecht jedoch über ein kontroverses Thema sprechen, das mit ihren eigenen Forschungen wenig zu tun hat: Wie viele Geschlechter es gibt, durch welche genetischen, hormonellen und sozialen Prozesse diese Entstehen, dazu gibt es viel Forschung, aber wenige abschließende Antworten. Dennoch titelte der von vielen Wissenschaftlern als fachlich ungenügend bewertete Vortrag Vollbrechts, „warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“.
Marie-Luise Vollbrecht behauptet, Humboldt-Uni sei „vor radikalen gewaltbereiten Aktivisten“ eingeknickt
Bemerkenswerter als der Vortrag selbst sind die Umstände, wie es überhaupt zu der Veranstaltung kam, die nicht gecancelt, sondern verschoben und am Donnerstag nachgeholt wurde – eingebettet in einer Podiumsveranstaltung mit Expertinnen und Experten, mit denen Marie-Luise Vollbrecht aber nicht diskutieren mochte. Sie hat ihre Teilnahme verweigert – und stattdessen an einer Youtube-Veranstaltung mit mehreren Antigender-Aktivistinnen teilgenommen, von denen kein Widerspruch zu erwarten war.
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Abgesagt wurde die Veranstaltung Anfang Juli von der Humboldt-Universität angeblich aus Sicherheitsbedenken, was allerdings von Insidern als absurd bezeichnet wird: Zwar hatte der „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ an der Humboldt-Uni Berlin zu einer Demonstration gegen den Vortrag aufgerufen. Außer einer überschaubaren, friedlichen Demonstration sind jedoch keine Vorkommnisse bekannt, und schon gar keine, die das Abhalten des Vortrags gefährdet hätten. Dennoch behauptete die Doktorandin allen Ernstes und unwidersprochen, die Universität sei „vor radikalen gewaltbereiten Aktivisten“ eingeknickt, „die kein Verständnis von Biologie haben“.
Unterstützer protestierten gegen Absage, noch bevor diese überhaupt erfolgte: War der Skandal inszeniert?
Diese Darstellung wurde von vielen Medien ungeprüft übernommen. Fragen werfen allerdings Postings aus dem privaten Umfeld der Doktorandin auf, die am Vorabend der für den 2. Juli geplanten Veranstaltung schon davon ausgingen, der Vortrag sei gecancelt worden. Die Doktorandin bewegt sich in einem Kreis von Aktivistinnen, die sich gegen die Rechte von Transpersonen einsetzen und bei der Wahl ihrer Mittel nicht eben zimperlich sind.
In diesem Umfeld verortet sich auch die transfeindliche Aktivistin Eva Engelken. Bevor eine mögliche Absage des Vortrags zur Diskussion stand, postete diese auf Twitter: „Helfen Sie mit, dass eine Frau und Wissenschaftlerin bei der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin frei reden kann.“ Die Aktivistin nimmt also Proteste vorweg, die noch überhaupt nicht stattfanden.

Tatsächlich stellt es sich im Rückblick so dar, dass das Ziel des Vortrags vor allem war, Proteste zu provozieren. Dazu muss man wissen, dass Marie-Luise Vollbrecht eine längere Vorgeschichte als transfeindliche Aktivistin hat, anonyme Accounts auf Twitter und Instagram unterhält, die auf den Namen Frau Summer (Frollein_VogelV) laufen. Auch wenn die Doktorandin zahlreiche Tweets mit juristisch sehr heiklen Anfeindungen gelöscht hat: Screenshots von offensichtlichen Bedrohungen in einem bestimmten Jargon zeugen von der Zugehörigkeit zu einer Gruppierung, die als TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminism bezeichnet wird: „Trans-ausschließender radikaler Feminismus“).
Wissenschaftlerin von Vollbrecht auf Twitter als „pissigen Soziologen“ markiert
Eine in Genf lebende Wissenschaftlerin, die Frau Vollbrecht betont sachlich kritisiert hatte, wurde über deren Twitter-Account folgendermaßen markiert:
Müssten die Nachrichten in @Welt etc. nicht eigentlich lauten extremistische Doktorandin (@Frollein_VogelV) bedroht und sendet ihre GesinnungspartnerInnen aus um etablierte Wissenschaftlerin und deren Familie zu diffamieren? 1/2 pic.twitter.com/5dIvCq5AH1
— Medical Humanities Scholar (@dana_mahr1) July 2, 2022
Die betroffene Wissenschaftlerin berichtet wenige Tage später von zahlreichen Drohungen einschließlich Morddrohungen.
Ich habe mit meiner Frau & Tochter 16 Anzeigen wegen Todesdrohungen und Vergewaltigungsfantasien aufgegeben. Jetzt sammle ich für eine Diskursanalyse Daten über die Verknüpfung von anti-queeren Netzwerken, rechten Talking points, und konservativen Kreisen.
— Medical Humanities Scholar (@dana_mahr1) July 9, 2022
Und die #terfs so: pic.twitter.com/8Dv14hcHgN
Zahlreiche weitere Bedrohungen sind von überwiegend anonymen Accounts aus dem Umfeld der TERF-Szene dokumentiert, deren Betreiber gleichwohl Wohnadressen und private Details von Leuten in Erfahrung gebracht haben. Ich habe selbst mit mehreren Betroffenen gesprochen, die mir von ihrer Angst berichten, diese offensichtlichen Doxing-Vorfälle anzuzeigen, weil Anwälte über die eine Anzeige womöglich an die Meldeadressen der Opfer kommen könnten.
Doxing wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft
Doxing ist ein Straftatbestand, der seit 2021 Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren für diejenigen vorsieht, die nicht allgemein zugängliche Daten in Umlauf bringen, um andere Personen in Gefahr zu bringen. Da sich diese Bedrohungen von anonymen Accounts wie @nichtg0esser in erster Linie gegen Transpersonen richten, ist erstaunlich, warum der Polizeiliche Staatsschutz in dieser Sache nicht schon längt ermittelt.

Worum es hierbei allerdings nicht geht: Um Redefreiheit. Personen „Kastration“ mit einer rostigen Gartenschere zu wünschen, so ein belegter Tweet von Marie-Luise Vollbrecht alias @Frollein_VogelV, ist das eine. Menschen zu bedrohen und dazu beizutragen, dass diesen Gewalt angetan wird, ist etwas anderes, und darüber sollten wir etwas deutlicher reden als über dilettantische Biologie-Vorträge.
Anmerkung: In einer früheren Fassung wurde der Twitter-Account @nichtg0esser unkorrekt als @nichtgOesser geschrieben.
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